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Mit lila Hut in Weimar

Aktualisiert: 14. Aug. 2019

Eine gewisse Narrenfreiheit leben! Frecher, selbstbewusster sein. Einengende Konventionen zurücklassen. Sind das die Freiheiten, die eine ernstere Krankheit schenken kann - oder sind das einfach Resultate, die die Weisheit des Alters mit sich bringt?





Seit Wochen habe ich im Forum der krebskranken Frauen gelesen, dass ein deutschlandweites Treffen in Weimar stattfindet. Ich habe es irgendwie registriert, aber für mich als nicht relevant empfunden. Nun kommen immer mehr Stimmen, die schreiben, wie sehr sie sich auf dieses Treffen freuen. Jedes Jahr gibt es an einem anderen Ort ein frohes Wiedersehen. Mit einer Teilnehmerin schreibe ich schon seit längerem ein bisschen intensiver. Sie meint: Schade, dass ich nicht dabei sei. Ich würde mich sicher mit ein paar von den Frauen super verstehen.


Ok. Ich hole mal meinen Terminkalender. Oje, das ganze kommende Wochenende ist verplant. Vier Termine! Aber eigentlich. Ich bin jetzt furchtbar neugierig geworden: Frauen kennen lernen, die etwas ähnliches erlebt haben wie ich. Das klingt spannend! Mittlerweile haben sich bei mir auch ein paar Fragen aufgetan. Unter anderem wie ich mit meinem Armproblem und der aufgestauten Lymph-Flüssigkeit umgehen soll. Es hätte schon große Vorteile, wenn ich nach Weimar könnte.


Kurzentschlossen kläre ich erst einmal ab, ob überhaupt noch ein Zimmer frei ist. Ja, zusammen mit einer anderen Frau im Zimmer, das ginge noch. Damit ist für mich klar: Wenn sich eine Tür öffnet, bin ich dabei. Das Zugticket mit Sparpreis ist sogar noch sehr günstig. Und so sage ich - schließlich schon ein bisschen traurig - meine anderen Veranstaltungen kurzfristig noch ab. Man kann eben nicht überall sein. Ich muss Prioritäten setzen und das ist momentan nun mal meine Krankheit.


Einen Impuls, so makaber wie er klingt, habe ich dabei auch immer wieder im Hinterkopf: Wenn ich gar nicht mehr da oder noch kränker wäre, könnte ich die anderen Termine auch nicht wahrnehmen. So schenkt mir die Krankheit auch ein bisschen mehr Gelassenheit, wenn ich Angst habe, etwas zu verpassen.


So sitze ich am Freitag,13.4.2019, erwartungsfroh im Zug nach Weimar. Ich bin eigentlich bisher mit dem Zug nur arbeitsbedingt zu Tagungen in verschiedene Klöster gefahren. Ich kann Zugfahren voll genießen. Nichts anderes machen zu können, als da zu sein. Beschränkt auf das wenige, was ich so mitnehmen kann. Eigentlich im Handyzeitalter schon wieder sehr viel. Denn damit habe ich ja bereits wieder die ganze Welt im Boot - oder eben im Zug.


Goethestadt Weimar



Goethe und Schiller

Weimar ist eine wunderschöne Stadt. Ich bin rechtzeitig dran und erkunde das Städtchen schon einmal ein bisschen zu Fuß. Hängen bleibe ich in einem Laden mit Edelsteinen. Eigentlich hätten wir einen der größten Läden mit solchen Steinen vor der Haustüre. Aber natürlich nicht diese wunderbaren Edelsteine, die ich hier in Weimar gerade in Kauflaune ergattere. So schleppe ich schon mal ein paar Kilo reicher meinen Rollkoffer zum Hotel Michelangelo.




Ein riesiges Hotel mit Wellnessbereich! Über unsere WhatsApp-Gruppe weiß ich, dass schon einige dort sind und im Foyer bei einem Cappuccino warten. Schon spannend. Leute zu treffen, die man bisher noch nie gesehen hat, mit denen man lediglich schon einmal geschrieben hat.


Ich weiß, ich bin am Anfang immer eher sehr zurückhaltend. Gehe in die Beobachterposition und schau was so kommt. Aber die Frauen hier sind sofort sehr herzlich zueinander. Es herrscht von der ersten Minute an eine ausgelassene Stimmung. Krankheit ist nicht das bestimmende Thema.





Jede der Frauen, die zum ersten Mal zu so einem Treffen gekommen ist, bekommt ein Namenschild und einen lila Hut mit Schleife. Der lila Hut ist eine Anlehnung an die Geschichte über die unterschiedlichen Lebensstadien einer Frau. Da die meisten der Teilnehmer bereits über 50 Jahre sind, passt der Text ganz gut zu uns und wir ziehen frohgelaunt mit den Hüten zu unserem ersten Sightseeingpunkt. Die berühmte Herzogin Anna Amalia Bibliothek, die nach einem Brand mit vielen Spendengeldern wieder aufgebaut wurde.



Irgendwie sehe ich der Herzogin doch ein wenig ähnlich. Ok, meine Haare sollte ich noch etwas wachsen lassen 😉



Mit Bewegung anfangen ist immer gut. Beim Laufen kommt man leichter mit den Leuten in Kontakt. In Zweiergesprächen frage ich doch immer recht schnell nach, wie der "Leidensweg" meines Gegenübers sei. Mich interessiert das ungemein. Von außen sieht man ja nicht, was die einzelne Frau so für ein Schicksal trägt. Lediglich am Gang einzelner Frauen merkt man, dass so manche an Neuropathien in den Füßen leidet. Einzelne lassen sich gar mit dem Auto fahren, da sie den weiten Weg bis zur Innenstadt nicht laufen können. Bei mir geht es gerade so, wobei ich das Angebot mit dem Auto zurückzufahren gerne annehmen. Meine Füße haben ja heute auch schon einiges ausgehalten.




Beim Abendessen mit erstklassigem Buffet gehen dann die kunterbunten Unterhaltungen weiter. Wiedereingliederung, sich neu behaupten und vieles mehr rund um den Beruf wird dabei intensiv erörtert. Mir fällt auf, dass doch einige Frauen recht anspruchsvollen Jobs nachgehen.


Am nächsten Tag brechen wir zu einer Stadtführung auf. Bekleidet mit unseren lila Hüten werden wir dabei von vielen schmunzelnd beobachtet oder sogar angesprochen. Vermutlich denken viele, wir seien eine etwas ältere Truppe bei einem Junggesellinnenabschied.






Später kann jeder für sich noch durch Weimar laufen. Die lila Hüte helfen uns dabei, uns immer wieder zu finden. Ich kann mir die Frauen nämlich immer noch nicht merken. Vor allem mit den Namen tue ich mich sehr schwer. Im Forum hat nämlich jeder ein Pseudonym um dort unerkannt schreiben zu können. Daher hat ja jede Frau gleich zwei Namen. Das überfordert meine chemo-strapazierten, grauen Gehirnzellen gewaltig. Manche heißen dort: Kirsche, Blume, Heideblüte, Sonnenglanz, DieOlle ... Ich verwechsle die Frauen bis zum Schluss. Ich selbst habe auf dem Forum den Namen "Hase" gewählt und dazu eines meiner Lieblingsfotos als Profilbild verwendet.




Die drei Tage vergingen wie im Flug. Für mich waren sie total bereichernd. Und welche Erfahrungen nehme ich mit?


Schwimmen mit dem lädierten Arm macht keinen Spaß. Es zieht bei jedem Schwimmzug. Ein eigenartiges Gefühl, das mich ganz schön irritiert. Ich sollte vielleicht mehr Dehnübungen machen. Und vor allem sollte ich mich zur Lymphdrainage anmelden. Das Spannungsgefühl in der Brust sollte sich damit auch verbessern. Oh je, Lymphdrainage! Das will ich eigentlich gar nicht hören. Vor dem hat mich schon von Anfang an gegraut. Regelmäßig zu einem Physiotherapeuten gehen. Soviel Zeit wieder rein für mich verwenden. Aber ich werde mich wohl dem Rat der Frauen beugen.


Die Frauen sind hier alle sehr couragiert und gehen stark und kämpferisch durchs Leben. Einige haben bereits Rezidive, das heißt sie haben oder hatten bereits irgendwelche Metastasen im Körper. Sie sind dennoch sehr gefasst und können gut mit der Krankheit umgehen. Es ist mutmachend, dass man auch mit fortgeschrittener Diagnose noch positiv leben kann. Das nimmt Angst vor der Zukunft: Denn keiner von uns, weiß, ob es ihn nicht auch mit einem Rezidiv treffen kann. Das Wochenende hat sich für mich echt gelohnt.





So fällt der Abschied schwer. Ich habe noch den Nachmittag Zeit bis mein Zug fährt. Daher kann ich noch mit einer mir liebgewonnenen Frau das Goethemuseum besuchen. Das ist noch einmal ein wunderbarer Ausklang. Sie ist sehr ruhig und besonnen. Mit ihrem breitgefächertem intellektuellen Wissen macht es echt Spaß, sich durch Goethes Wohnräume zu bewegen.


Goethe war ein leidenschaftlicher Sammler. Sein schmuckes Wohnhaus ist voll von kleinen und etwas größeren Statuen und Büsten.


Und so fahre ich mit vielen schönen Eindrücken bereichert wieder zurück in meine bayerische Heimat. Den lila Hut positioniere ich zu Hause an sichtbarer Stelle in unserem Schlafzimmer. Eigentlich wollte ich damit noch Bilder im Alltag machen. Aber dabei komme ich mir dann doch etwas komisch vor. In der Gruppe geht das mit lila Hut vielleicht einfacher - vor allem, wenn die Stimmung passt.


Tja, Narr zu sein, aus der Reihe zu tanzen, ist wohl doch nicht so leicht. Gott sei Dank muss man das ja auch gar nicht prinzipiell machen. Aber ein bisschen mehr Mut haben, seine Persönlichkeit zu leben, nicht immer nur an die Gesellschaft angepasst sein: Das wäre ja schon ein Gewinn.


So lasst uns unbekümmert losziehen und das Leben genießen! Egal in welchem Alter!

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