Durch meine Chemo werden mir die Haare ausfallen. Daher raten viele, sich bereits rechtzeitig eine Perücke herauszusuchen. Meine Freundin war in einem Salon im Klinikum, den sie mir sehr empfohlen hat.
Super praktisch, dass es Salon Grassl im Klinikum gibt. So kann ich Wartezeiten zwischen den Untersuchungen hervorragend mit Perücken-Shopping füllen. Frau Grassl berät die Kundinnen mit sehr viel Einfühlungsvermögen. Für mich ist Haare / Perücke aber eigentlich kein bewegendes Thema. Gespannt bin ich aber schon, wie ich damit aussehen werde. Ich sage Frau Grassl, dass ich gerne wieder ähnliche Haare möchte, wie ich sie jetzt auch habe. Wir schauen in Kataloge und suchen passende Perücken heraus.
Währenddessen bemerke ich, dass sie eine Idee hat. Sie kommt mit einer hellblonden Perücke zurück und setzt sie mir auf. Sie gefällt mir auf Anhieb. Ich frage sie, ob ich diese bis zum nächsten Tag mitnehmen könne, um sie meinen Angehörigen zu zeigen. Aber sie meint, die hätte sie für eine Kundin bereits reserviert und sie wisse nicht, wann diese sie abhole. Aber wir könnten gerne ein Foto machen.
Dieses Foto schicke ich dann in die Familien-Whatsapp-Gruppe mit dem Titel: "Frisch vom Friseur". Zurück kommt: "Sehr schön schaust du aus!" und später erzählen sie mir: "Wir haben uns gewundert, dass du nochmal so kurz bevor dir eh die Haare ausgehen noch einmal zum Friseur gegangen bist." Nicht einmal alle in meiner Familie haben gemerkt, dass das nicht meine eigenen Haare sind.
Frau Grassl bestellt dann netterweise von meiner favorisierten Perücke noch je eine Nummer heller und dunkler. Die hellere Variante ist "platinhell" - was meiner natürlichen Haarfarbe genau entspricht. Aber ich habe sehr dünne Haare. Als ich dann Tage später diese helle Perücke aufsetzte, wirkt das mit so vielen Haaren allerdings viel zu dominant und unnatürlich bei mir. Die Perücke mit dem leicht dunkleren Blond lässt mich interessanterweise wie meine Schwester aussehen. Auch gut. Aber ich entscheide mich für die mittlere Variante, die mir spontan gleich so gut gefallen hatte.
Als ich meine Perücke während der ersten Chemo-Phase abhole, lasse ich sie gleich auf - obwohl ich noch genügend eigene Haare habe. Mir gefällt sie total gut. Noch nie in meinem Leben hatte ich soooo viele Haare. Leicht vor mich hingrinsend ziehe ich durch den Westpark in Ingolstadt. Vor jedem Schaufenster oder Spiegel betrachte ich mein mir noch ein bisschen unbekanntes Aussehen. Sitzt auch alles noch richtig? Dabei begegnen mir mehrere Bekannte. Keinem scheint etwas aufzufallen. Einen sehr guten Freund spreche ich sogar direkt an: "Merkst du was an mir?" Er mustert mich verwundert von Kopf bis Fuß. Ich deute auf meine Haare. "Warst' beim Friseur?" Richtig, das war ich.
Auch später höre ich immer wieder, wenn ich Leuten begegne: "Gut siehst du aus!" Ich weiß dann immer nicht genau: Meinen sie jetzt, dass ich zu genommen habe von der Chemo? Wissen die überhaupt, dass ich Chemo habe? Meist frage ich nach und es stellt sich in der Regel heraus, dass sie tatsächlich noch nichts von meiner Diagnose wussten.
Jemand hat mir dann auch mal direkt gesagt, dass ich viel jünger aussehe seit ich Chemo habe. Ich denke, es kommt vor allem daher, dass meine Perücke einfach noch blonder ist, als meine jetzigen - eher weißen - Haare. Dieses Blond hatte ich als junge Frau!
... und so genieße ich es für ein paar Monate verjüngt durchs Leben zu laufen!