An meinem letzten Urlaubstag fahre ich abends noch mit der Seilbahn auf einen Berg. Alles aus einem anderen Blickwinkel betrachten. Raus aus den Mauern, Vogelperspektive einnehmen. Der Horizont weitet sich. Die Dimensionen werden klarer. Sollte man dies nicht öfters im Leben machen?

Vom Berg Monte Faito aus habe ich eine wunderbare Aussicht über Pompei und seine Nachbarorte, die miteinander verwachsen sind. In der Ferne erkenne ich eine kleine, braune Häusergruppe mitten unter dem Meer an hohen, modernen Häusern. Das ist das alte Pompeji. Dort bin ich herumgelaufen zwischen den Mauern der wieder ausgegrabenen Ruinen. Von oben sieht man genau, wie klein die antike Stadt eigentlich ist im Vergleich zur jetzigen Besiedlung. Zudem sind die heutigen Häuser ja noch um ein vielfaches höher gebaut. Hoffentlich bricht dieser Vulkan nie wieder aus. Dieses Mal wäre das Leid sicherlich noch schlimmer.

Langsam geht die Sonne unter. Ein stimmungsvolles Panorama begleitet mich beim Herunterfahren mit der Gondel.

Unten angekommen begebe ich mich noch ans Meer. Die Sonne steht nun knapp über dem Horizont und hüllt alles in ein warmes sattes Rot. Schließlich fällt die gelbe Scheibe ins Meer und taucht vollständig ab.
Mit ihrem Untergang geht nun auch mein Urlaub zu Ende. Eine (ent-)spannende, schöne Zeit. Ich habe viel erlebt und konnte viel lernen.
Warum macht man eigentlich Urlaub? Warum mache ich Urlaub?
Für mich ist das Herausgenommen werden aus dem Alltag auf jeden Fall Abwechslung, damit es mir nicht langweilig wird. Je nachdem wie der Urlaub gestaltet wird, ist er natürlich auch Erholung vom Stress.
Aber das Wichtigste für mich ist eigentlich immer die Horizonterweiterung. Urlaub ist dabei wie das Hinauffahren auf einen Berg. Hier habe ich den Überblick. Ich nehme Vogelperspektive ein und sehe die Relationen wieder besser. Im Alltag in meiner Arbeit, in meinem Haus, verliere ich mich in vielen Details. Mein Blick verblasst. Urlaub kann zu einem lehrreichen Perspektivenwechsel werden, der den Fokus wieder auf Wichtiges lenkt und Relationen wieder zurecht rückt. Ich sehe Dinge, ja erlebe sie mit allen Sinnen. Dinge, die mir sonst vorenthalten bleiben würden: Wunderschönes, z.B. die faszinierende Natur in anderen Ländern, Kulturdenkmäler, aber auch bereichernde Begegnungen mit Menschen vielleicht sogar aus anderen Nationen.
Urlaub kann mir aber auch nahebringen, was es an Elend auf dieser Welt gibt. Ich begegne Menschen, die auf der sogenannten Schattenseite dieser Welt leben. Ich sehe Menschen, die viel schwierigere Ausgangslagen haben als wir in unserer privilegierten Region. Es arbeitet in meinem Kopf: Die gesammelten bunten Puzzleteile wollen sortiert werden. All das Gesehene spricht mich an. Wieweit kann ich irgendetwas beitragen, dass dieses Ungleichgewicht minimal ausgeglichen wird? Mir wird bewusst, dass ich großteils unverdient im Überfluss leben darf. Dass es viele Menschen auf dieser Erde gibt, denen es viel schlechter geht als mir. Meine eigenen Probleme werden relativ. Vor allem meine Reise nach Indien war für mich ein echtes Schlüsselerlebnis.
Oft bin ich auch nur sehr dankbar, wenn ich wieder nach Hause komme. Mir wird wird wieder bewusst, wie schön und ruhig ich wohnen darf. Auch die Arbeit macht wieder mehr Spaß. Vorher kann man vor lauter Pflichten oft kaum mehr klar sehen. Nun mit einem gewissen Abstand ist man wieder etwas gelassener. Zumindest eine Zeit lang ... bis der nächste Urlaub fällig ist.
Über den Wolken
Im Flugzeug habe ich einen Fensterplatz. Eigentlich fliege ich nicht gerne, vor allem, wenn man das Ziel auch mit ökologischeren Verkehrsmitteln erreichen kann. Dieses Mal habe ich mich allerdings wegen der Chemo für diesen nicht konsequenten Weg entschieden. Ich finde es echt verrückt, was da in der Luft tagtäglich abgeht.

Das Flugzeug rollt holpernd über die Landebahn und nimmt Fahrt auf. Schneller und schneller geht es. Ich werde durch die Beschleunigung in den Sitz gedrückt. Nun heben wir ab. Ich habe ein flaues Gefühl im Magen. Mein Blick wandert hinaus und ich sehe von oben, was uns in den letzten Tagen begegnet ist. Der Vesuv zieht noch einmal vorbei. Wir gewinnen weiter an Höhenmetern. Schließlich tauchen wir durch die Wolkendecke.

Zwischen den Wolken erspähe ich Rom, den Petersplatz. Dort flanierten wir noch vor kurzem. Später erkenne ich Venedig, eine Stadt die vermutlich irgendwann versinken wird, wenn der Meeresspiegel weiter ansteigt.
Es wird langsam dunkel und ich sehe die vielen Lichter unter mir. Gerade an der Küste Italiens ist kaum ein Flecken Land, das nicht zugebaut ist. Und es wird immer mehr. Wie lange hält diese Erde das noch aus. Unendlich viel nicht erneuerbare Energie wird tagtäglich verbraucht. Auch ich verschwende gerade Energie, weil ich fliege.
Genauso ist es mit der Produktion von Müll, der weltweit in nicht fassbaren Mengen entsteht. Und auch ich trage tagtäglich bei jedem Einkauf dazu bei, dass der Müllberg höher wird, die Meere mit Plastik überschwemmt werden. Wieweit sollte ich deswegen ein schlechtes Gewissen haben, oder auch nicht? Schließlich bemühe ich mich ja um Mülltrennung und noch besser um Müllvermeidung. Wenn ich die unendlich vielen Lichter von hier oben sehe, frage ich mich allerdings: Kann ich den Untergang dieser Welt mit meinen minimalen Anstrengungen für den Umweltschutz überhaupt auffangen? Vermutlich nicht. Das macht mir der Blick auf diese hohe Bevölkerungsdichte, die ich gerade von oben erlebe, bewusst.
Und dennoch werde ich weiterhin meinen kleinen Beitrag für die Schonung der Umwelt beitragen - ohne mich dabei total zu kasteien. Eben wie so oft im Leben mit Maß und Verstand. Denn zumindest die nächste Generation sollte es ja auch noch gut haben. Das liegt in unserer aller Verantwortung.
Der Blick aus dem Weltraum
Alexander Gerst, ein sehr bekannter deutscher Astronaut, sieht das genauso. Ich konnte ja nur einen kleinen Höhenflug machen. Sozusagen eine kleine Horizonterweiterung. Wobei eine Horizonterweiterung natürlich nicht immer mit den tatsächlichen Höhenmetern korreliert 😉.
Und dennoch: Alexander Gerst hat die Erde aus dem Weltraum als Ganzes gesehen. Er sieht unseren Planeten als unseren Lebensraum - als unsere große Heimat. Bei uns reicht unser Verständnis von Heimat vielleicht manchmal nur bis zum eigenen Gartenzaun. Und diese unsere aller Heimat gilt es wertzuschätzen und zu schützen für unsere Enkelkinder. Er wendet sich an diese mit einer Entschuldigung:
So ähnlich besingen dies die Musiker Sido und Andreas Bourani in einem sehr anschaulichen Lied. Ebenfalls aus der Sicht eines Astronauten. Darin werden sowohl die schönen als auch die schwierigen Seiten unseres Erdenlebens beleuchtet. Ein sehr ausdrucksstarkes Video untermalt das Ganze und geht richtig unter die Haut.
Wir können profitieren, wenn andere für uns Schritte nach draußen tun. Mit ihrer Hilfe bekommen wir einen anderen Blick auf unsere Welt und mit ihr auch auf unser eigenes Leben. So können wir die Welt in unser Wohnzimmer holen und müssen nicht immer selber alles erleben. Wobei selbst Erlebtes natürlich immer noch ein Stück weit intensiver erfahren wird und besser ins Bewusstsein vordringt.
Was jeder mit diesen Erkenntnissen macht, ist dann eine andere Sache. Jeder darf natürlich aus seiner jeweiligen Situation heraus seine individuellen Schwerpunkte in seiner Lebensgestaltung setzen. Aber klar ist: Verantwortung auch für unser großes Ganzes, unsere wunderschöne Erde und ihre Bewohner/innen sollte jeder ein bisschen tragen. So haben wir alle hoffentlich noch recht lange etwas von ihrer lebenspendenden Kraft und Schönheit.
