Den Abschluss meiner Chemo zu feiern ist mir total wichtig. Ich habe dieses Ende total herbeigesehnt und nun will ich dies durch irgendeine kleine Party verinnerlichen.
Ich zähle bereits seit einer Woche die Tage, an denen ich noch die Tabletten nehmen muss. Meine Füße, Hände und Muskeln schmerzen. Ich hatte angefangen den Keller zu weißeln und komme dabei nicht vorwärts, weil ich einfach auch erschöpft bin.

Und heute ist es endlich soweit. Schon in aller Früh lege ich mir die restlichen fünf Tabletten zurecht, die ich noch habe. Offiziell müsste ich ja sechs Stück schlucken, aber auf die eine weniger soll es nun auch nicht mehr ankommen. Mittags ist es dann endlich soweit. Ich nehme mein letzte Ration. Ich will dabei gar nicht soviel nachdenken. Einfach weg mit diesen Dingern. Sie haben mir hoffentlich auch geholfen. Aber leider auch Schmerzen und Schäden zugefügt. Mein Körper kann diese vermutlich irgendwann wieder einigermaßen ausgleichen. Mit einem Glas Wasser spüle ich die letzten 5 Tabletten auf einmal hinunter - und mit diesen hoffentlich auch die Angst, dass ich jemals wieder von Krebs betroffen sein könnte.
Ja, ich weiß: Ein Rückfall ist jederzeit möglich. Es kann sein, dass in mir bereits böse Zellen nur darauf warten, Nahrung für ihr weiteres Wachstum zu bekommen. Aber ich will mich auf diese negativen Gedankenspiele gar nicht einlassen. Wenn's kommt, dann kommt es: Egal ob ich mich deswegen verrückt mache oder auch nicht. Allgemein muss ich ja darauf achten, dass es mir und meiner Psyche gut geht. Und da will ich auf Schönes schauen und nicht auf Negatives, das eventuell irgendwann einmal eintreffen könnte.
Rückkehr in den Alltag, aber in welchen?
Ich merke eh, jetzt wo die Therapie vorbei ist, wird es nicht unbedingt einfacher. Therapie bedeutete aktiv gegen die Krankheit angehen. Unzählige Arztbesuche, Operation, Medikamente einnehmen, ja der ganze Sonderstatus rund um diese Krankheit: All das hat mich hervorragend beschäftigt. Jetzt muss - bzw. will ich - mich wieder in einen normalen Alltag integrieren. Aber was ist nun normal für mich? So viele Fragen sind noch offen. Einige werden wohl erst im Gehen, im Ausprobieren beantwortet werden.
Viele Frauen im Forum schreiben auch davon, dass die Rückkehr in den Alltag nicht immer leicht ist. Bisher war es einfach: Wenn es mir nicht gut ging oder wenn ich keinen Bock auf Arbeit hatte, habe ich mich einfach hingelegt. Nach dem Motto: Ich bin ja krank. Oder auch: Wenn es mich gar nicht mehr gäbe, dann würde diese anstehende Arbeit ja auch nicht gemacht.
So, aber jetzt gibt es mich ja immer noch. Und jetzt kommt eben die wichtige Frage: Was soll ich mit meinen 24 Stunden am Tag machen, sodass ich am Abend sagen kann: „Das war ein guter Tag für mich und meine Mitwelt"? Eigentlich genau die Frage, die sich vielleicht jeder Mensch Tag für Tag stellen sollte.
Lebensbalance finden, aber wo ist diese genau?
Doch was ist anders als vor der Erkrankung? Was ist denn das, was mir im Moment ehrlich gesagt auch ein bisschen Angst vor der Zukunft macht? Ich telefoniere mit einem guten Freund, der nach einer Herzoperation gerade auch im Krankenstand ist. Er meint dazu: „Der Unterschied ist, dass wir vor der Erkrankung bei Überlastung und Schwierigkeiten halt ohne 'wenn und aber' einfach durch sind. Und nun müssen wir auf einmal stärker darauf achten, dass wir uns durch unsere Betriebsamkeit nicht selbst schaden." Eigentlich wieder dieses Thema der Achtsamkeit. Das ist es wohl. Ich muss mir einen Lebensweg suchen, der mir Spaß macht. Der mich fordert, aber nicht überfordert. Positiver Stress darf vermutlich schon dabei sein. Ich brauche das für mich, sonst werde ich wirklich nur träge und komme gar nicht hoch. Aber das Ganze eben in Balance. Und genau das wird wohl auch sehr schwer für mich. Ich liebe es eigentlich in Extremen zu leben. Keine Ahnung, warum mir das so Spaß macht, an meine Grenzen zu gehen. Vielleicht, weil ich mich dann mehr spüre? Oder aber ist für mich "normal" einfach nur langweilig.
Aber genug reflektiert: Jetzt ist erst einmal Partystimmung angesagt! Gut dass wir heute Abend eine Sitzung zu unserer Dorfchronik im Gemeinschaftshaus haben. Da werde ich dann ein paar „Opfer" finden, die mit mir auf den Chemoabschluss mit Sekt und Orangensaft anstoßen. Klar, da lässt sich keiner lange bitten. Und so lassen wir nach über einem Jahr Chemo am 8.7.2019 die Sektgläser klingen! Eine für mich doch auch gute Zeit geht zu Ende und dennoch wünsche ich mir: Chemo, bitte nicht noch einmal!
