Ich liebe Sommer. Hitze ist für mich kein Problem. Ich könnte mich stundenlang in die pralle Sonne legen, wenn es nicht so ungesund wäre. Und nun spannt auf einmal mein Arm. Durch die Wärme lagert sich dort Wasser ein. Neeein! Ich will das nicht! Vor dem hat mir seit meiner Krebsdiagnose gegraut. Frauen, die nach einer Lymphknotenentfernung einen Strumpf tragen mussten, taten mir schon immer unheimlich leid. Und nun droht mir das vielleicht auch?

Notgedrungen habe ich mir nun 6 mal Lymphdrainage verschreiben lassen. Meine physiotherapeutische Praxis ist praktischer Weise oberhalb meines Onkologen. So kann ich wenigstens Termine miteinander verbinden. Mein Ziel ist, dass ich möglichst viel über diese "dummen" Lymphe erfahre. Ich möchte nämlich auf keinen Fall mein Leben lang zum Physiotherapeuten gehen müssen. Ich will das soweit möglich irgendwie selbst in den Griff bekommen. Im Internet habe ich mir bereits ein paar YouTube-Videos darüber angeschaut. Eines davon ist von Lisa Mestars & LymphCare Deutschland. Ein paar Übungen daraus mache ich bereits. Vor allem am Morgen beginne ich mit Schulterkreisen vor dem Spiegel, um den Lymphfluss schon mal anzuregen. Aber nun bin ich gespannt, was ich von einem Profi live noch erfahren kann.
Meine erste Lymphdrainage

Die Praxis ist hell und freundlich. An den Wänden sind coole Sprüche aufgeklebt und vor allem auch Tafeln, an denen die Lymphbahnen, Sehnen, Muskeln und Knochen eingezeichnet sind. Während ich auf meine Physiotherapeutin warte, studiere ich diese aufmerksam. Eigentlich wollte ich das auch mal lernen. Krankengymnastin werden. Ein schöner Beruf. Gescheitert wäre ich vermutlich an meiner Schwäche in den Händen. Man braucht da schon ganz schön viel Kraft, wenn man die einzelnen Muskeln effektiv bewegen will.
Nun kommt meine Therapeutin freudestrahlend herein. Die junge Frau legt mein mitgebrachtes großes Tuch auf die Liege. Sie fragt mich, ob es so für mich bequem sei. Ich erzähle ihr von meinen Kreuzschmerzen, die ich auf Grund meines Hexenschusses habe. Daraufhin besorgt sie mir noch einen großen Block und legt ihn unter meine Füße. Dadurch liegen diese nun entspannt im rechten Winkel und mein lädierter Nerv wird geschont.
Sie beginnt nun als erstes meine Lymphe unterhalb des Schlüsselbeines zu bearbeiten. So habe ich das bereits auch im Internet gelernt. Hier sollte man anfangen. Sie erklärt mir während sie nun mit leichten, kreisenden Bewegungen meine Lymphe mobilisiert, was ich zu diesem Thema alles wissen möchte. Man kann sich das Ganze so vorstellen: Die Lymphknoten sind sozusagen wie die Gullys in einer Straße. Sie leiten die Flüssigkeit des Körpers, die dort überall in Lymphbahnen kreisen, ab. Entfernt man einige dieser Knotenpunkte bleibt die Lymphflüssigkeit in den entsprechenden Körperregionen stehen. Diese muss sich dann irgendwelche andere Abflusswege suchen. Nun soll man bei der Behandlung aber nicht gleich an der Stelle anfangen, wo sich das Wasser staut, sondern erst einmal da Platz schaffen, bzw. die Lymphknoten anregen, wo sie letztendlich ablaufen sollen. Diese Stellen sind für den Arm eben unterm Schlüsselbein. Erst müssen die Lymphe dort „frei geräumt" werden, damit wieder etwas nachfließen kann. Im Anschluss daran streicht sie schließlich auch mit sanften Druck die Lymphe Richtung Schlüsselbein. Dort ist eine sogenannte „Wasserscheide." Geduldig beantwortet sie all meine Fragen. Sie möchte im Gegenzug von mir etwas von meiner Krankheitsgeschichte erfahren. Physiotherapeut/innen hören sicherlich so einiges an Schicksalsschlägen. Sie sind gleichzeitig zu ihren körperlichen Tätigkeiten immer auch seelsorgerisch tätig. Aber sie lernen auch von so manchem Patienten. So erzählt mir ein Therapeut von einem sehr jungen Mann, den er über Jahre begleitet hat. Er hat sehr viel von dessen Lebenskraft - und Lebensfreude - gelernt, auch wenn er bereits in jungen Jahren verstorben ist. Dieser sei für ihn zu einem großen Vorbild geworden, wie man Leben auch mit Handicap meistern kann und wie man bis zum Schluss um sein Leben kämpfen kann.
Mit all diesen Gesprächen ist die Zeit ruckzuck vorbei. Fühle ich mich nun besser? Ich weiß es ehrlich gesagt nicht so. Die massierenden Bewegungen haben auf jeden Fall gut getan.
Vordringen in die Tiefe meiner Muskeln
So gehe ich dort nun einmal die Woche hin. Irgendwann bekomme ich auch andere Therapeuten. Jeder hat so seine eigene Art. Schließlich behandelt mich eine Frau in meinem Alter, mit der ich auch schon mal privat Kontakt hatte. Sie hat sich auf Lymphbehandlung spezialisiert. Ich erhoffe mir von ihr wieder einiges zur Eigentherapie zu lernen.
Außergewöhnlich bei ihr ist, dass sie in die Tiefe der Muskulatur vordringt. Ihrer Meinung nach hätte man schon viel früher anfangen müssen, die Muskulatur zu mobilisieren. Nun seien vermutlich einige Faszien verklebt und die Flüssigkeit könne dadurch nicht so leicht abfließen. So arbeitet sie sich mit starkem Druck rund um meine Narbe Stück für Stück vor. Ich berichte ihr davon, dass ich Wassereinlagerungen nach der OP hatte, aber die Ärzte darauf nicht reagierten. So lange es mich nicht störe, sei das schon ok - meinten diese damals. Sie berichtet mir nun, dass in den Lymphen auch Eiweiß sei und gerade bei der Bestrahlung könne das gerinnen. Aber auch einfach von alleine lagere sich dies ein, wenn die Flüssigkeit nicht abläuft. Daher ist es nicht ideal, wenn man nichts dagegen mache. Ich hatte das mittlerweile bereits im Internet gelesen. Meine Brust war jetzt auch „brettlhart". Vielleicht hätte man dieses Ergebnis vermeiden können.
Daher werde ich nun Zentimeter für Zentimeter so richtig durchgewalkt. Einige Stellen schmerzen sehr. Auch die Tage danach noch. Aber welch ein Wunder: Das erste Mal seit langem ist die Seite meiner entfernten Brust auch weich. Das finde ich jetzt echt klasse. Ok, ich hatte auch ihren Tipp beherzigt und bin Schwimmen gegangen. Aber irgendwie scheint das Ganze doch zu wirken. Ich versuche noch öfters Termine bei dieser Therapeutin zu bekommen. Leider ist sie bereits mit Langzeitpatienten so ausgebucht, dass ich bei ihr nur drankommen kann, wenn ein anderer Patient einen Termin kurzfristig absagt. Komischerweise ist aber auch bei ihr das Ergebnis nicht immer gleich. Einmal wirkt es total gut. Ein anderes Mal habe ich das Gefühl, da ist nicht viel passiert - trotz schwimmen ...
Von was das alles abhängt, warum mal mehr und mal weniger Flüssigkeit im Arm oder in der Brust ist, kann ich bis heute noch nicht sagen. Vermutlich ist es ein Sammelsurium von vielerlei Faktoren: Wärmeeinstrahlung von außen, wie ich den Arm belaste, wie oft ich meine Übungen mache oder ihn rein durch bestimmte Tätigkeiten wie Volleyball bewege. Auch Stress, der eine Anspannung im Körper hervorruft, soll Auswirkungen auf das Lymphsystem haben. Zusätzlich könnte auch die Ernährung hineinspielen. Vielleicht auch salzreiches Essen? Ich habe mir auch überlegt, dass es dem Arm auch gut tuen würde, wenn weniger Fettzellen ihn dicker machen. Dann ist vielleicht mehr Platz für die Lymphflüssigkeit. Das ist doch nun auch eine Motivation, dass ich endlich ein bisschen abnehme. Und diese Motivation funktioniert sogar: Innerhalb von 4 Wochen habe ich während meiner Beachvolleyballzeit sozusagen „spielerisch" abgenommen. Zwei Stunden Bewegung im Sand helfen da schon gut.
Und doch noch einen Armstrumpf?
Irgendwann höre ich es aber zum wiederholten Male: Ein Armstrumpf wäre schon sehr gut für mich. Kompression ist eine wichtige Säule bei der Lymphbehandlung. Denn wenn ich diesen nicht trage, läuft ja nach der Lymphdrainage der Arm gleich wieder voll. Ich gebe mich geschlagen. Wenn es halt sein soll. Ich plane ja bald auf Kur zu gehen. Vielleicht ist es gut, wenn ich da bereits einen dabei habe. So lasse ich mir bei einem Beilngrieser Gesundheitshaus einen Armstrumpf anfertigen. Aber wenn ich schon eine Bandage tragen soll, dann darf man diese auch sehen - und soll auch hübsch aussehen. So wähle ich statt dem üblichen hautfarbenen Ton, ein blasses Blau aus.
Beim Abholen lasse ich ihn gleich zu meinem Kleid an und gehe damit einkaufen. Schon komisch. Ich weiß, zum Kleid werde ich das nicht öfters machen. Ich denke, ich werde ihn überhaupt nur in Notfällen tragen, wenn ich halt viel mit dem Arm mache. Abends als ich mich dann endlich hinsetze, geht es gar nicht mehr mit diesem einengenden Teil. Nein, so ein blöder Strumpf. Der drückt gewaltig. So lange man etwas macht und nicht daran denkt, geht es ja gerade noch. Aber jetzt! Ich schäle mich nun hektisch aus diesem unliebsamen Teil. Meine ganze Haut trägt das Muster des Strumpfs. Uff!
Oft trage ich dieses enge Stück aber nicht. Irgendwie geht das auch ohne. Ich glaube das mit den Lymphen sollte ich auf Dauer hinkriegen. Ich mache halt jeden Tag am Morgen ein paar kreisende Schulterbewegungen und mobilisiere, wenn es gerade passt auch zwischendurch mal meine Lymphe. Regelmäßiges Schwimmen an der Kratzmühle wäre natürlich auch ideal. Diese Bewegung stimuliert ja gleich den ganzen Körper. Aber ob ich mich dazu aufrappeln kann?
Ja, wenn ich das mit den Lymphen nicht hätte, würde ich die Geschichte mit dem Krebs sicherlich irgendwann vermutlich sogar fast vergessen.
Vielleicht sollte ich das ja auch gar nicht! So erinnern meine Lymphe mich immer wieder: Da war doch was! Gehe achtsam mit dir um, damit dir nicht wieder etwas Schlimmes widerfährt!
Es gibt doch nichts, was vielleicht nicht irgendwie auch einen Vorteil haben kann. Man muss nur fest dran glauben.