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Sonnenuntergang in der Christbaumkultur

Aktualisiert: 23. Aug. 2021

"Schön, dass du da bist!", begrüße ich einen Freund aus früheren Zeiten. Er kommt jedes Jahr, um sich einen Christbaum selbst zu schneiden. "Schön, dass du da bist!" Er umarmt mich herzlich: "Wir haben für dich gebetet." Oh, jetzt weiß ich erst, was er meinte. Ich hatte da gar nicht dran gedacht, dass er auf meine Krankheit anspielen könnte und ich ja tatsächlich auch nicht mehr da sein könnte. Eigentlich ein gutes Zeichen, dass solche Gedanken für mich langsam wieder in den Hintergrund rücken.


Mein Mann hat eine Christbaumkultur. Am 2., 3. und 4. Adventswochenende helfen dabei die ganze Familie nebst meiner Schwester und unserem Opa beim Verkauf. Ich unterhalte dort gerne die Gäste bei Glühwein und Plätzchen am warmen Ofen. Unter Christbäume-vom Förster kann man sich anschauen, wie so ein Bäumchen vom Pflanzen bis zum Abschneiden gepflegt wird. Diese Homepage wird auch sehr sorgfältig gepflegt, nämlich von unserer Tochter Anna. So bringt jeder aus unserer Familie seine Stärken ein.



Bevor man ernten kann, muss gepflanzt werden ...



Letztes Jahr stand ich um diese Zeit kurz vor meiner Operation. Ich hatte da einige gute Gespräche mit ein paar Leuten in der Plantage darüber. Einige erkundigen sich nun, wie es mir geht. Mit einer Frau hatte ich damals eine längere Unterhaltung in unserem gemütlichen Holzfällerwagen, der uns in unserer Kultur zum Aufwärmen und zum Essen dient. Sie bringt mir dieses Mal sogar ein kleines Geschenk mit und freut sich, dass es mir gut geht.



Eine traurige Nachricht


Ja, es ist nicht selbstverständlich, dass es mir gut geht und dass ich noch da bin. Mit großer Betroffenheit mussten wir nämlich einige Tage vorher in der Zeitung von einem sehr guten Bekannten die Todesanzeige lesen. Wir waren echt total geschockt. Er hatte parallel zu mir auch Krebs diagnostiziert bekommen. Wir trafen uns immer wieder einmal. Er war dabei stets guten Mutes, auch wenn seine Prognose nicht unbedingt sehr positiv war. Er nahm zu seiner normalen Chemo auch komplementäre Medizin in Anspruch. Mit Hyperthermie und ketogener Ernährung hoffte er, seinen Krebs in Schach halten zu können. So können wir uns noch gut daran erinnern, als er froh gelaunt und optimistisch sich vor nun genau einem Jahr in unserer Fläche einen Christbaum für seine Familie aussuchte.


Dieses Jahr kam seine Frau mit den Kindern in die Kultur. Sicher kein einfacher Weg wie überhaupt keine einfache Zeit für die Hinterbliebenen. Ein erstes Weihnachten ohne Ehemann und Vater. Mir ist klar, dass natürlich die Angehörigen die eigentlichen Leidtragenden sind. Sie sind es, die mit dem Verlust zu kämpfen haben. Ganz offen erzählt seine Frau von den letzten Tagen, in denen es ihm immer schlechter ging und er dann irgendwann sagte, dass er nicht mehr kämpfen wolle.

Für ihn ist nun wohl alles still. Bei der Familie, die er zurückgelassen hat, gibt es aber nun viel zu organisieren und zu regeln. Auch viele Tätigkeiten, die vorher immer der Verstorbene gemacht hat, müssen nun von den Familienmitgliedern übernommen werden. Aber was hilft es zu klagen. Man muss wie überall das Beste daraus machen. Das veränderte Leben annehmen. So kommt die Familie gerade vom Pflanzen kleiner Bäumchen aus ihrem Wald. Die Setzlinge hatte noch der Verstorbene bestellt. Mit einem lächelnden Blick nach oben, meint die Frau, er würde sich sicher darüber freuen, dass sie die kleinen Bäumchen nun gemeinsam als Familie gepflanzt haben. Ja, so ist Leben: Ein Pflanzen und ein Umschneiden, ein Geboren werden und ein Sterben. Alles hat eben seine Zeit, wie es bereits ein biblischer Vers sagt. Wie viele Tage einem geschenkt werden, weiß keiner. Mein Vater wird jetzt bald 90 Jahre alt und er ist immer noch hellwach bei vielem dabei, was wir so machen. Es nervt ihn zwar, dass er nicht mehr selbst soviel anpacken kann. Aber seine Hände haben wirklich auch schon mehr als genug getan. Wir genießen einfach, dass er da ist und uns mit seinem verschmitzten Lächeln wohlwollend begleitet.



Anderen beim Arbeiten zuschauen müssen. Auch "alt sein" ist nicht immer leicht!



Sein Leben für sich sinnvoll gestalten


Ja, und ich bin auch noch hier. Mit dem Freund aus meiner Jugend philosophiere ich darüber, dass ich nun "ein gebranntes Kind" sei. Ich habe erfahren, wie schnell Leben aus sein kann. Aber ändere ich dadurch etwas an meinem Verhalten? Wie viel Spielraum hat man eigentlich, sein Leben wirklich zu verändern. Kommen wir überhaupt raus aus unserem Denken und aus unseren Prägungen? Von alleine geht das wohl nicht. Man muss echt trainieren, wenn man Verhaltensmuster durchbrechen will. Ich habe noch die Chance, an meinem Leben zu basteln. Mein verstorbener Bekannter nicht mehr.


Seine Frau erzählt, dass er rund um die Uhr aktiv war. Ja, der Gedanke kam mir auch schon mal. Vielleicht war/ ist es ja auch gut, soviel ins eigene Leben reinzupacken, wie nur geht. Möglichst viel mitnehmen, da es sehr schnell aus sein kann? Wir wissen es alle nicht. Es gibt kein allgemein gültiges Patentrezept zu einem optimalen Leben. Jeder hat wohl seine eigene Vorstellung, wie er sein Leben gestalten möchte.


Für meinen Bekannten war sein Leben, so wie er es gelebt hat, auf jeden Fall stimmig. Schön, wenn wir am Ende sagen können: "Ich bin zufrieden, wie ich mein Leben gelebt habe. Ich würde das Meiste wohl wieder so machen."



Wenn die Sonne untergeht ...

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