Man kann sich das kaum vorstellen: Kaum bin ich zu Hause, treten massive körperliche Beschwerden auf. Keine Ahnung, warum im Krankenhaus alles noch okay war.
In der Klinik habe ich bereits ab dem zweiten Tag keinerlei Schmerzmittel mehr genommen. Die Tabletten-Schachtel habe ich, so wie sie gefüllt war, wieder zurückgegeben. Ich war völlig schmerzfrei. Und nun kann ich den Arm kaum noch heben. Mache ich dies mit zusammengebissenen Zähnen dennoch, entdecke ich einen harten Strang unter der Achsel. Drückt man auf diesen, tut er furchtbar weh. Oje, ich hoffe dieser geht irgendwann wieder von alleine weg.
Zudem brennt die Außenseite des Oberarms wie Feuer. Ich weiß gar nicht, was ich anziehen soll. Meist laufe ich im ärmellosen T-Shirt herum. Auf keinen Fall will ich dort irgendeine Reibung erzeugen.
Fäden ziehen kein Problem
Am Freitag, 28. Dezember, bin ich dann in der onkologischen Praxis zum Fäden ziehen nach der Ablatio. Das tut überhaupt nicht weh. Das größere Problem ist die verhärtete Ader oder Sehne, die unter meinem Arm Schmerzen verursacht. Die Ärztin schaut sich das mit dem Ultraschall an, kann aber nichts bedenkliches feststellen. Die brennende Haut am Oberarm deute auf durchtrennte Nerven hin. Vitamin B solle da helfen. Ebenso gegen die Neuropathien in den Füßen. Im Forum der Frauenselbsthilfe nach Krebs hatte ich das schon mal gelesen, aber ich habe mich noch nie so darum gekümmert. Nun mit den zusätzlichen Schmerzen am Arm ist die Not so groß, dass ich mich jetzt mit zusätzlichen Arzneimitteln auseinandersetze. Eine Freundin empfiehlt mir dazu auch Globuli zu nehmen. Ich habe ehrlich gesagt bisher nie allzu viel von Homöopathie gehalten. Hypericum perforatum, zu deutsch Johanniskraut, soll bei Nervenschäden helfen. Vor allem nach Verletzungen bzw. bei Operationswunden. Da die Verdünnungsreihe nur d12 ist, kann ich mir sogar vorstellen, dass noch gewisse Wirkstoffe in den Kügelchen vorhanden sind. Das bedeutet nämlich, dass das Mittel 1:10 verdünnt und das Ganze 12 mal durchgeführt wurde. Der Vorteil ist, dass diese Globuli keine Wechselwirkung mit anderen Arzneimittel, sprich Chemo, haben. Ob sie tatsächlich eine Wirkung haben? Keine Ahnung. Ich lass das einfach offen. Wenn ja, ist es natürlich gut und wenn nicht, schaden sie zumindest nicht. Die Stimmung sollen die kleinen Kügelchen nebenbei auch noch aufhellen. Na, das kann ich momentan auf jeden Fall gebrauchen.
Ein kitzeliger Spaß

An der Außenseite meines Armes brennt meine Haut fürchterlich. Anscheinend wurden dort bei der Entfernung der Lymphknoten Nerven durchtrennt. Mein Sohn will mir etwas Gutes tun und streicht mir ganz vorsichtig über den Arm. Dabei bekomme ich eine Gänsehaut. Aber überall? Wir bilden uns ein, dass an der Stelle, an der die Haut brennt und vermutlich Nerven durchtrennt sind, keine Gänsehaut ist. Da ich das Ganze nicht so gut im Blick habe, bitte ich Andreas mit dem Handy ein Foto davon zu machen. Aber bis er sein Handy zückt, ist der ganze Spuck schon wieder vorbei. Somit komme ich mehrmals in den Genuss von Streicheleinheiten. Denn vor lauter Lachen ist die Gänsehaut immer wieder verschwunden, bevor er abdrücken kann. Aber zumindest ansatzweise kann man dieses Phänomen vielleicht schon noch auf dem Bild erkennen. Ob an dem Ganzen nun wirklich etwas dran ist oder auch nicht, ist mir wie bei den Globuli wiederum egal. Wir hatten auf jeden Fall unseren Spaß dabei. Zudem werde ich gerne gekitzelt 😉!
An Silvester in die Notaufnahme
Doch die gute Stimmung hält nicht ewig an, denn in den nächsten Tagen schmerzt mein Arm noch schlimmer. Der Gedanke, dass eine Sehne durch die Operation verkürzt worden sein könnte, beunruhigt mich. Vor allem wenn ich mir vorstelle, dass ich dadurch nicht mehr Volleyball spielen kann. So gebe ich schließlich dem Rat meiner Tochter Anna nach und begebe mich an Silvester in die Notaufnahme des Klinikums.
Nach langer Wartezeit darf ich auf meine ehemalige Station und werde von einer jungen Ärztin wiederum mit Ultraschall untersucht. Nichts Auffälliges. Keine Thrombose. Im Arztbericht dazu steht lediglich: „ein kleines Serom im lateralen Brustwandbereich, zur Zeit nicht punktionswürdig"... Sie meint dazu, die Operation liege ja erst 2 Wochen zurück. Das Ganze dauere halt bis sich unter der Achsel wieder alles einspielt. Leichte Bewegungen -wie sie mir eine Krankengymnastin bereits im Krankenhaus gezeigt hat - seien sicherlich hilfreich.
Geigensaiten-Syndrom
Wieder glücklich zu Hause beginne ich gleich mit kreisenden Bewegungen und leichten Dehnübungen meinen Achsel- und Schulterbereich zu lockern. Ich hatte nämlich bedingt durch die Schmerzen eine Schonhaltung eingenommen und meine Schulter kaum noch bewegt. Ich forsche dazu auch wieder im Forum der Frauenselbsthilfe. Dort lese ich nun zum ersten Mal, dass mein Problem tatsächlich sogar einen Namen hat: Geigensaiten-Syndrom.
Im Internet finde ich über diesen Begriff schließlich auch eine Studie von der Physiotherapeutin Elisabeth Josenhans zur Behandlung dieses Phänomens. Sie hat dafür 2007 sogar den Wissenschaftspreis des Deutschen Verbandes für Physiotherapie bekommen. Sehr viele brustoperierte Frauen leiden darunter. Aber anscheinend wird dem gar nicht so viel Beachtung geschenkt. Dabei berichten doch auch viele andere Frauen im Forum von diesem Strang unter ihrer Achsel. Physiotherapeutische Mobilisierung des Armes ist dabei tatsächlich die beste Methode, dieses Phänomen wieder loszuwerden. Leider hat mir dies nie jemand gesagt. Jetzt will ich das Ganze lieber in Eigenregie angehen. Ich habe einfach keine Lust, mich schon wieder in eine Praxis zu begeben. Und vom Gefühl her wird das schon werden.
Das Serom in der Brust wird mehr
Aber schon tritt das nächste Problem auf - eigentlich merke ich es schon länger: Ich habe viel Wasser in der Operationswunde. Hilfe! Wenn ich auf der Innenseite der Brust darauf drücke, schwabbelt es bis unter die Achsel wie in einer Wärmflasche hin und her.
Ach ne! Ich will nicht schon wieder in die Klinik. Ich lese erst einmal wieder im Forum nach. Darin gibt es über viele Jahre hinweg gesammelte Beiträge zu allen möglichen Themenbereichen. Viele der Frauen mit Total-OP berichten ebenfalls von dieser Komplikation. Einige bekamen vorbeugend bereits im Krankenhaus einen Kompressions-BH verschrieben. Andere berichten davon, dass sie punktiert wurden. Bei manchen war es daraufhin gut, bei anderen lief die Wundflüssigkeit wieder nach. Sie mussten sich dieser Prozedur dann sogar mehrmals unterziehen. Die Gefahr bei einer Punktion ist allerdings, dass durch den Einstich Keime in die Wunde gelangen können und sich eine Entzündung einstellt. Daher will ich noch warten. Aber ich soll ja irgendwann einmal bestrahlt werden. „Vielleicht stört das Wasser dabei ja", überlege ich laut.
So mache ich mich schließlich irgendwann doch auf zur Punktion in die Beilngrieser Praxis. Bis nach Ingolstadt fahren, mag ich nicht. Ich hoffe nur, der Beilngrieser Arzt kriegt das auch hin. Schließlich macht er das ja nicht so oft. Gemeinsam überlegen wir, wo eine günstige Stelle zum Stechen sein könnte. Unter der Achsel an der tiefsten Stelle, da könnte dann die gesamte Flüssigkeit hinfließen. So sticht der Arzt ziemlich am Rand ein, wo sehr viel Wasser gluckert. Er zieht die Spritze an, aber es kommt nichts. Ok. Dann ist es wohl besser, dies unter Ultraschall zu machen. Also Umzug ins nächste Zimmer. Wiederum intensive Desinfektionsmittel auf die Haut, damit ja keine Keime in die Wunde gelangen. Und siehe da, dieses Mal fließt die rötliche Flüssigkeit sofort. Und zwar gleich soviel, dass damit drei Spritzen gefüllt werden können. Am Ende sind es 170 ml. Ein schönes Gefühl, wieder super flach zu sein.
Dieses angenehme Gefühl dauert aber nicht lange. Denn bereits am nächsten Tag schwabbelt es schon wieder leicht in meiner nicht mehr vorhandenen Brust. Ich versuche dann mit engen Kompressionsbinden ein komplettes Befüllen der Brust mit Flüssigkeit noch abzuwenden. Aber das ist ein Kampf gegen Windmühlen. Mir ist es irgendwann auch egal. Zumal ich auch erfahren habe, dass es bei der Bestrahlung wohl nicht stört. Es kann allerdings sein, dass die Flüssigkeit irgendwann gelartig wird. Okay. Ich denke, das ist dann halt wie ein natürliches Silikon. Auch recht. So spare ich mir eine Operation zum Aufbau einer Brust. Denn ansatzweise sieht das nun schon wieder nach einer solchen aus.
Vieles im Leben ist relativ
Irgendwann werden diese Probleme hoffentlich wieder alle vergessen sein. Wenn ich so im Forum lese, mit welchen weiteren Problemen manche Frauen nach einer Operation zu kämpfen hatten, bin ich wieder versöhnt mit meinen Schwierigkeiten. Bei einigen Patientinnen heilt die Narbe tagelang nicht zu. Anderen wurden Implantate eingesetzt, die dann auf Grund einer zu dünne Haut wieder ausgerissen sind. Oder die aufgenähte Brustwarze stirbt nach einiger Zeit wieder ab. Bei manchen entzündet sich auch der Bauchbereich, bei dem das Fett entnommen wurde. Mit Schwämmen in der Wunde wird dann über Wochen versucht, das Ganze in den Griff zu bekommen.
Nein, da bin ich ganz froh, dass sich meine Beschwerden nach der OP in Grenzen halten. Wie so vieles im Leben ist auch dies relativ.
Warten auf das weitere Vorgehen bei der Behandlung
Angespannter bin ich momentan allerdings eher wegen der Tumorkonferenz. Diese wurde auf Grund der Feiertage bereits mehrmals verschoben. Der Tumor war ja am Ende meiner letzten Chemo noch vorhanden. Zudem stellte es sich bei der OP heraus, dass bereits 3 Lymphknoten infiziert waren. Bei einem davon gab es sogar einen Kapseldurchbruch. Ich habe bereits mehrmals gehört, dass da noch einmal eine Chemo folgen sollte. Nun habe ich mir aber meinen schmerzhaften Port bei der OP gleich mitentfernen lassen. „War dies nun doch zu früh?", kommt es mir immer wieder in den Kopf. Muss ich mir nun vielleicht wieder einen neuen setzen lassen? Oder kann man auch versuchen, die Chemo einfach über die Vene zu verabreichen? Wobei ich weiß: Wenn dabei etwas schiefgeht und die Chemikalie in die Muskulatur gelangt, kann es zu irreparablen Schäden kommen.
Die Ungewissheit ist das stressigste, was es gibt: Nicht zu wissen, wie es mit einem weitergeht. Wenn wieder normale Behandlung läuft, tut man ja bereits wieder etwas. Aber nur warten zu müssen, ist schon sehr nervig.
Am Donnerstag, 10. Januar 2019, soll nun endlich die Tumorkonferenz stattfinden. Ich habe mit etwas Quengeln veranlasst, dass ich gleich am nächsten Tag einen Besprechungstermin bekomme. Ich gehe davon aus, dass ich ja bestrahlt werde. Das muss ja auch alles zeitnah in die Wege geleitet werden.
Aber manchmal kommt es auch anders, als man denkt ...