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Erinnerungen

Spätnachmittag an Fronleichnam. Vormittags war ich bei der Biopsie im Krankenhaus in Eichstätt. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich Krebs habe, ist greifbar. Nähere Infos fehlen mir noch: Wie aggressiv er ist, ob er vielleicht auch schon gestreut hat...

Ich überlege, was ich an diesem freien Tag noch machen könnte. Etwas, bei dem ich nicht so viel denken muss, was mich ein bisschen ablenkt, aber dennoch sinnvoll ist.

Da fällt mir ein, ich könnte ja Bilder für unsere Dorfchronik machen. Dort bin ich in einem kleinen Mitarbeiterkreis. Bilder von unserem Dorf wollte ich schon lange machen. Das passt jetzt. Da komme ich an die frische Luft und habe ein bisschen Bewegung. Zudem liebe ich es zu fotografieren.

So mache ich mich auf zu einem Fotowalk.


Unser Dorf ist wunderschön. Es hat nicht umsonst bereits mehrere Auszeichnungen bekommen. Biberbach, wie der Name bereits sagt: Ein Naturidyll, von Wasser umgeben. Das Fotografieren macht mir Spaß …






Auf facebook bin ich in einer Fotogruppe. Gerne würde ich in dieses Hobby mehr einsteigen. Dazu fehlte mir bisher aber die Zeit. Zudem merke ich, dass ich mit den vielen beeindruckenden Bildern, die die meisten mit sehr guten Kameras machen, gar nicht mithalten kann. So bleibe ich in diesem sozialen Medium momentan beim Liken und Kommentieren.




Bei meinem Spaziergang durch das Dorf treffe ich drei alte Frauen, die im Garten stricken, gemütlich auf der Hausbank oder sogar im Rollstuhl sitzen. Aufgewachsen sind sie im Krieg oder in der Nachkriegszeit. Ihre Gesichter sind gezeichnet von Sorgen- und Lachfalten. Es sind sehr schöne Begegnungen mit diesen Frauen. Ihr zufriedenes Lächeln tut gut. Ihre Männer sind bereits vor Jahren gestorben. Einigermaßen gesund alt werden zu dürfen, ist ein Geschenk. Dabei erzählt mir eine der Frauen, dass sie vor 36 Jahren ebenfalls Brustkrebs hatte. Ihr wurde damals die Brust abgenommen und sämtliche Lymphknoten entfernt. Sie bekam damals keine Chemo, wurde aber 30 mal bestrahlt. Es war für sie auch keine einfache Zeit. Jetzt ist sie 92 Jahre alt.


In Biberbach ist Natur noch greifbar. Wunderschöne Streuobstwiesen inmitten der Häuser und Scheunen.




Ich denke zurück an meine Kindheit. Viele meiner Tanten und Onkel lebten auf Bauernhöfen. Wir fuhren oft auf die Dörfer und holten im Herbst Zwetschgen, Äpfel, Birnen und Nüsse. Kettenhunde, uralte bissige Gänse, Kälbchen in engen Verschlägen, heruntergekommene Jurahäuser, Plumpsklos … alles zieht an meinen Augen vorbei.


Damals nahm ich bereits vieles wahr, konnte es aber nicht einordnen. Schon als Kind berührten mich die vielen Ungerechtigkeiten des Lebens. Aber es gab auch wunderbare Momente. So konnte ich mich riesig darüber freuen, zwischen frisch geworfenen Ferkeln zu liegen oder meine Hand als Nuckel in das Maul von einem Kälbchen zu stecken. Dabei wurde meine Hand von der rauen Zunge und den kommenden Zähnen fast wund geschleckt.


Meine Mutter war als gelernte Schneiderin oft bei ihren Schwestern auf den Bauernhöfen und nähte für deren Familien Kleidung. So kam ich unter anderem auch oft nach Stenzenhof, einem Mini-Dorf aus 4 Häusern bei Pondorf. Dort stand nicht weit entfernt die mächtige Bavaria Buche. Dieser Baum faszinierte mich total, ohne dass ich wusste, dass er so berühmt war. Als Kind spazierte ich viele Male Richtung Bavaria Buche und konnte es kaum erwarten, bis ich auf dem Weg die eindrucksvolle Krone am Horizont auftauchen sah. Damals war noch kein Bauzaun zum Schutz vor den vielen Menschen und man konnte frei darin herumklettern. Welche Kraft und Energie in diesem Naturdenkmal steckte.

Jetzt ist sie auseinander gebrochen und liegt am Boden. Der Lauf der Natur.





Damals war ich auch oft dabei, als Ernte eingebracht wurde. Heu wurde mit dem Greifer in die hohen Scheunen gezogen. Ich hatte einen Heiden-Respekt vor diesen laut klappernden metallenen Zangen. Uns wurde immer eingeschärft, ja nicht zu nah ranzugehen - vor allem auch nicht an die vielen Luken, durch die man überall nach unten fallen konnte. Gefährlich war das Leben dort mit Sicherheit. Aber nie ist uns etwas Schlimmeres passiert. Lediglich mal barfuß in irgendwelche herumliegenden Mistgabeln getreten. Deren rostigen Zinken hielt die beste Hornhaut nicht stand. Mit dieser an den Füßen konnten wir damals sogar barfuß über abgeerntete Stoppelfelder laufen.

All diese Bilder zogen nun an mir vorbei. Ich hatte eine einfache, aber glückliche Kindheit.


Mag von dieser meine Liebe zu alten Scheunen herkommen? Ich mag die Schlichtheit dieser nie ganz gerade verputzen Scheunen, deren Bretter ohne Schutz allen Witterungen trotzen. Sie sind es, die den dörflichen Charakter noch erhalten. Einige fallen leider nun auch in Biberbach, weil sie nicht mehr ganz so praktisch sind wie eine neue Halle ohne Stockwerke und Zwischenwände. Einige Scheunen sollten neuen Wohnhäusern weichen. Gott sei Dank haben sich die Besitzer nun aber dagegen ausgesprochen und die Schmuckstücke stehen gelassen. Mir täte es total weh, die mit Efeu, Holunder oder Wein natürlich bewachsenen Gebäude zu verlieren.




Auf dem Rückweg begegne ich noch Freunden beim Plausch über dem Gartenzaun. Ich bin noch ganz in meinen Gedanken versunken. Mag jetzt auch gar nicht so viel reden - was selten vorkommt.





Eine faszinierende Abendstimmung zieht auf und lässt vor allem den Kirchturm in ein kurioses Licht fallen. Ein bisschen düster, schaurig, aber auch spannend. Der Himmel spiegelt mein Inneres wieder!

So mache ich mich mit voller Kamera und vielen Erinnerungen auf den Heimweg.







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