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Ein weiterer Schock

Aktualisiert: 23. Aug. 2021

Langsam wird's langweilig hier im Krankenhaus. Da fällt mir ein, ich könnte ja ein bisschen fotografieren. Und so entsteht ein neues Stillleben. Geschmückt mit dem, was mich hier noch festhält. Entdeckt ihr das corpus delicti?




Der Oberarzt meint am 1. Weihnachtsfeiertag zu mir: „Wir lassen jetzt mal die Sogwirkung aus der Redonflasche, dann zieht sie weniger Flüssigkeit nach. Denn recht viel länger sollte man den Schlauch nun nicht mehr in der Wunde lassen. Sonst könnte sich das Ganze noch entzünden."


Mittlerweile habe ich trotz des Feiertags eine neue Zimmernachbarin bekommen. Eine total sympathische Lehrerin. Sie bekommt am heutigen Tag einen kurzen Eingriff. Abends darf sie schon wieder nach Hause. Aus meinen Erfahrungen heraus sage ich ihr, dass das allerdings durchaus länger werden könnte. Ich kenne das auch noch zu gut aus der Zeit, als ich mit unserem damals 4-jährigen Sohn in der Kinderklinik war. Er hatte damals ein Lymphom und war zur Chemo immer wieder auf Station. Das war oft ein Alptraum, wenn die Ärzte sagten, wir können nach dem Essen heimgehen und wir oft bis abends dort warten mussten, weil kein Arzt zum Entlassen kam. Und so ist es dann auch bei ihr. Erst nach 21 Uhr wird schließlich ihr Befundbericht fertig gestellt. Danach kann sie dann endlich nach Hause gehen. Mir wird dabei mitgeteilt, dass am nächsten Tag meine Drainage auf jeden Fall gezogen würde. Ich könne dann ebenfalls entlassen werden, wenn sonst alles passe. Oh, das geht jetzt aber schnell! Aber es ist nach 10 Tagen Klinikaufenthalt nun auch an der Zeit.


WhatsApp-Nachrichten zum Schmunzeln


Schon vibriert wieder mein Handy: Eine Freundin schickt mir kommentarlos dieses Bild:



Ich frage Sie: „Wo bist du denn?" und schicke ihr folgendes Bild zurück:



Sie antwortet: „Ich bin auf Teneriffa. Wo du bist ist offensichtlich ... ich wünsch dir alles Gute ..."

Ich: „Lieben Dank! Das hat was. 🌞"

Sie: „Es hat ... einfach alles ...!!"

Ich: „Ich wünsche dir, dass du deinen Urlaub voll genießen kannst."

Sie: „Danke 😎"


WhatsApp hat auch was. Mit wenigen Worten und einem schnell verschickten Bild ist alles gesagt. Mich erheitert diese Art der Konversation.


Entfernung meines lästigen Anhängsels


Happy macht mich dann auch, dass mich eine Krankenschwester tatsächlich am nächsten Tag - am 2. Weihnachtsfeiertag - von der nervigen Drainage befreit: „Bitte, tief einatmen" und schon beginnt sie am Schlauch zu ziehen. Ich sehe, dass dieser gar nicht mehr aufhören will. Ja wie weit ist der denn drin gewesen? Er hat eine riesige Menge an Wundflüssigkeit abgeleitet. Wenn diese in mir drin geblieben wäre, wäre die große Operationswunde sicher nicht so schnell abgeheilt.


Dies meint auch der Oberarzt, der nochmal einen Blick auf die Narbe wirft und sehr zufrieden damit ist. Nach ca.10 Tagen ab Operation soll ich mir die Fäden bei einem Gynäkologen oder Hausarzt ziehen lassen. Er mache später noch den Arztbrief fertig und dann könne ich nach dem Mittagessen gerne nach Hause gehen. Soweit ich keinerlei Beschwerden bis dahin bekomme.


Super, das höre ich gerne. Mit dem Mittagessen bekomme ich auch den Arztbrief ausgehändigt. Ich bin gespannt, was darin alles steht. So lese ich beim Essen meine neusten Befunde. Und dann bleibt mir fast die Gabel im Mund stecken.


Nicht schon wieder schlechte Nachrichten


Was bekomme ich denn da zu lesen? Ich bekomme eine Hitzewallung. Ich kenne das mittlerweile. Seit ich durch die Chemo in die Wechseljahre gekommen bin, tritt dies regelmäßig auf. Vor allem, wenn ich unangenehme Nachrichten bekomme oder auch nur an etwas Negatives denke, stehen mir die Schweißperlen auf der Stirn.


Hier steht neben vielem Bekanntem: „Der Tumor ausgedehnt vital in einem Tumorbett >60mm Ausdehnung bei darüber hinaus sehr diffuser kleinknotiger Architektur. Als Zeichen einer präoperativen Therapie zeigt sich im Zentrum des Tumors zumindest eine gewisse Fibrose. Befall von Lymphgefäßen und venösen Blutgefäßen." So viele Fremdwörter, ich verstehe nicht alles. Aber was mich erschüttert ist „der Befall von venösen Blutgefäßen." Davon hat mir noch keiner etwas erzählt. Das klingt nicht gut.


Ich lese weiter im Bericht: „Zwei Lymphknotenmetastasen des lobulären Adenocarcinoms der linken Mammma von fünf axillären Lymphknoten Level I und II mit einer Größe von bis zu 11 mm und teils mit Kapseldruchbruch."


Oh, what the fuck! Was bedeutet das denn jetzt? Ich bin verwirrt. Lese das Ganze noch einmal. Sofort beginne ich zu googeln: „Kapseldurchbruch". Auf Anhieb finde ich da nichts Brauchbares. Ich habe jetzt auch keine Lust, so am Ende eines eigentlich ganz gut verlaufenen Klinikaufenthalts mich damit noch mehr zu belasten und klappe frustriert den Laptop wieder zu.


Mein Sohn Michael holt mich ab. Der Rest meiner Familie ist gerade bei der Verwandschaft meines Mannes und lässt sich bei einem Griechen „Gyros mit Metaxasauce" schmecken - unser aller Lieblingsgericht. Sie schicken mir vom Weihnachtstreffen gerade ein Bild. Emotionslos nehme ich das zur Kenntnis.


Michael gegenüber erwähne ich noch nichts von diesen negativen Neuigkeiten. Das muss ich jetzt erst einmal selbst verdauen. Ich kann damit auch noch gar nichts anfangen.


Zu Hause angekommen google ich mich aber sofort wieder weiter durch die fremden Begrifflichkeiten. Irgendwie fühle ich mich jedoch damit etwas überfordert. Es gibt dazu keine klaren Aussagen, was für Konsequenzen das denn nun alles für mich konkret hat.


Abends kommt schließlich meine Familie wieder nach Hause. Immer noch betroffen, will ich erstmal niemanden damit belasten. Ich merke aber, dass ich mit diesen neuen Gegebenheiten nicht alleine zurechtkomme. Daher frage ich Anna nach außen etwas unbekümmert, ob sie mir denn helfen könne, mir die Begriffe aus dem Arztbericht zu entziffern.


Da ist Anna grandios. Mit einer kompetenten und sehr souveränen Art liest sie sich übers Internet in die Problematik dieser neuen Diagnose ein und erklärt mir anschließend, was sie so herausgefunden hat.


Mit ihrer klaren und sachlichen Umgangsweise bringt sie mich wieder auf den Boden. Hilft jetzt nichts sich über diese negativen Ergebnisse zu sorgen. Das macht's auch nicht ungeschehen. Sie empfiehlt mir, alle mein Fragen schriftlich festzuhalten und diese beim nächsten Arztbesuch vorzutragen. Das werde ich machen.


Aber jetzt erst einmal schlafen. Wieder zu Hause im eigenen Bett. Bereichert durch das Herzkissen, das mir auch hier angenehmen Halt gibt. Das Einschlafen will mir aber nicht so gelingen. Scheinbar kann ich doch nicht alles einfach so abschütteln. Zudem tut mir nun einiges beim Liegen weh. Komisch, im Krankenhaus fand ich das einfacher. Irgendwie zieht es jetzt stark unter der Achsel. Vermutlich achte ich zu Hause ein bisschen anders auf meinen Körper. Aber das wird schon alles wieder gut werden. Und so wandere ich doch irgendwann ab ins Reich der Träume.

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