Am 15. Juni 2018 fahre ich mit unserer Tochter Anna ins Klinikum. Heute soll ich meinen Port bekommen. Dies ist ein Zugang zur Vene. Dabei wird eine Art kleines Döschen mit Membrane unter dem Schlüsselbein operativ eingesetzt. Über dieses sollen dann die Zytostatika auf sichere Art verabreicht werden. Nach diesem Eingriff habe ich noch ein Aufklärungsgespräch. Dabei soll ich erfahren, was in der Tumorkonferenz entschieden wurde.
Anna bringt mich zum Diagnostikum neben dem Klinikum in Ingolstadt. Wir vereinbaren, dass sie in die Stadt geht bis ich wieder abgeholt werden kann.
Ich muss trotz Termin über 1 Stunde warten. Nicht so angenehm. Ich habe nichts gegessen und getrunken. Auf einem allgemein gehaltenen Blatt über die Port-OP stand, dass man nüchtern bleiben soll. Dies bezog sich aber gar nicht auf meine OP. Ich bekam ja nur eine örtliche Betäubung. Als ich dies erfahre, trinke ich noch schnell meine mitgebrachte 1-Liter-Wasserflasche leer.
Endlich darf ich ausgestattet mit OP Kleidung in ein kleines Klämmerchen gehen und mich für den Eingriff schick machen.
Weißes Hemdchen, grünes Häubchen, rote Gummischuhe … so darf ich auf einer Liege Platz nehmen und … wieder warten. Kalt ist es. Hätte ich gewusst, dass ich nun noch einmal so lange warten muss, wäre ich noch auf die Toilette gegangen. „Soll ich fragen?“ Dafür bin ich zu schüchtern. Oder ich will einfach niemanden belästigen? Endlich komme ich dran.
Operation
Ein junger Arzt begrüßt mich freundlich. Ich werde in eine Vielzahl von grünen Tüchern verpackt. Schließlich meint der Arzt, er spritze nun ein. Schon kurz darauf fragt er mich: "Spüren Sie noch etwas?" Ich hasse diese Frage. Ich versuche mich auf meine Schulter zu konzentrieren. Der Arzt setzt sein Messer an. „Ja, ich spüre noch etwas“, mache ich ihn aufmerksam. "Aber nur den Druck", entgegnet er. Keine Ahnung! Er beginnt zu schneiden. Ich spüre das kalte Messer. Spinn ich? Der fängt einfach an! Ich fühle mich hilflos. Spüre ich noch etwas? Ich weiß es nicht. Auf jeden Fall ist es ein blödes Gefühl zu wissen, dass der Arzt jetzt an meiner rechten Seite herumschnippelt. Ich passe höllisch auf, ob ich etwas empfinde. Mein ganzer Körper ist total angespannt. Und eigentlich müsste ich auf die Toilette. Oh je, wie lange wird die Operation wohl dauern! Ich versuche mich abzulenken. Höre der Musik zu. "Tupfer, Schere, Klammer", höre ich dabei den Arzt sagen. Nun scheint er etwas zu verlöten. Ich rieche verbranntes Fleisch. Irgendwie kommt mir dabei der Geruch von Varanasi in Indien in den Sinn. Auf einmal zuckt es fürchterlich in meinem Arm. Der Arzt meint, wenn ich etwas spüre, soll ich Bescheid geben, dann spritze er nach. „Ja, das habe ich gerade gespürt." Der Schmerz sitzt tief. "Spritze!" Nun entspanne ich wieder. Vielleicht hätte ich früher etwas sagen sollen. Soll ich auch sagen, dass ich Volleyball spiele? Soll ich sagen, dass ich auch noch mit Port Volleyball spielen möchte?! Mehrmals kommt mir dieser Gedanke. Ich verwerfe ihn immer wieder. Bei meiner Diagnose kommt so eine Frage vielleicht blöd. Und dann ein kleines Geschenk: Im Radio kommt eines meiner Lieblingslieder "Somewhere over the rainbow" von Israel Kamakawiwo'Ole https://www.youtube.com/watch?v=fahr069-fzE
Ich versuche das Lied zu genießen. Wenn ich nicht auf die Toilette müsste, würde mir das leichter fallen. Der Arzt informiert mich: "So, nun setze ich den Port ein. Das kann etwas drücken." Oh Gott, ich merke wie der Arzt nun aufgestanden mit enormen Kraftaufwand den Port zwischen die Muskel schiebt. Ich hasse lokale Betäubungen. Ich hatte schon eine Hand-OP und auch zwei Kaiserschnitte mit Peridurale. Für meinen Körper war das immer eine enorme Herausforderung. Zum Teil zitterte ich vor Schock am ganzen Körper wie Espenlaub. Der Arzt benötigt nun: "Faden, Schere." Ich muss grinsen. Meine Mama ist Schneiderin. Irgendwie dauert das Ganze sehr lange. "Ich habe jetzt den Port an den Muskel geheftet", berichtet mir der Arzt. Ok. Und nun? "Strom." Nicht schon wieder! Ich mache meine Augen zu und hoffe, dass das alles bald vorbei ist. Doch noch von Volleyball erzählen? "Faden." Endlich. Es wird zugenäht. Jetzt brauche ich auch nichts mehr sagen. Der Arzt sprüht Desinfektionsmittel auf die verschlossene Wunde. Es ist eiskalt. Hilfe! Warum spüre ich das denn nun wieder. Ich frage den Arzt. Er erklärt, dass er die Haut nicht betäubt hat. Daher nehme ich durchaus oberflächlich etwas wahr. Aber richtige Schmerzen hätte ich sicherlich keine gehabt, fügt er hinzu. Super! Daher hatte ich auch das kalte Messer beim ersten Schnitt gespürt. Das sollte man vielleicht vorher wissen. Mir hat das Gefühl, etwas auf der Haut zu spüren, bei der OP unnötige Angst gemacht.
Nun werde ich wieder ausgepackt. Ich darf mich für ein paar Minuten zur Stabilisierung meines Kreislaufs aufrichten und mich dann vorsichtig in einen Rollstuhl setzen. Ich fühle mich dadurch schon fast ein bisschen alt und gebrechlich.
Ich bedanke mich bei dem sympatischen Arzt. Er blickt mir in die Augen. Mustert mich ein bisschen. Er weiß von meiner Diagnose und wünscht mir für den Verlauf meiner Krankheit alles Gute.
Ich werde rausgefahren. Bekomme Tee. Eine Toilette wäre mir jetzt lieber. Ich muss aber noch kurz warten, bis ich noch stabiler bin. „Darf ich jetzt?“ Als ich aufstehe, bemühe ich mich nicht zu wanken. Geschafft.
Hilfe, wo sitzt denn mein Port?
Zurück im Mini-Umkleideraum fällt mein erster Blick auf das weiße Pflaster. Hilfe! Wo hat der denn den Port gesetzt?! Ich erstarre. Der ist ja total weit draußen - fast am Schultergelenk. Und das auch noch an meinem Schlagarm. Ich bewege ihn nach oben. Mache die typischen Bewegungen wie beim Volleyball. Es tut weh. Aber das ist mir jetzt egal. Ich bin total entsetzt. Ich kenne bisher nur, dass die Ports weiter innen eher Richtung Dekolletee liegen. Hätte ich doch was sagen sollen? So kann man doch nicht Volleyball spielen!
Total irritiert ziehe ich mich langsam an.
So ein Mist!
Ich rufe Anna an. Gott sei Dank, kann ich meinem Unmut gleich Luft machen. Dann verdränge ich erst einmal diese Gedanken um Volleyball. Das überfordert mich sonst.
Aufklärungsgespräch nach der Tumorkonferenz
Wir gehen zum Aufklärungsgespräch. Dazu müssen wir auf die onkologische Frauenstation. Eine sehr junge Ärztin erzählt uns vieles zur Chemo und der anschließenden Behandlung. Ich bin froh, dass Anna dabei ist. Mir fällt nämlich kaum etwas ein, was ich fragen könnte. Die Ärztin empfiehlt, die Chemo im Klinikum zu machen. Denkt aber, dass das schon ok sei, wenn ich in die Praxis in Beilngries gehe …
Heimfahrt
Gut, dass Anna nach Hause fährt. Der Arm zieht langsam. Eigentlich wollten wir noch shoppen gehen. Daran ist nun aber nicht zu denken. Ich kann kaum meinen Arm heben.
In Kipfenberg trinken wir noch Kaffee bei meinen Eltern. Die Schmerzen nehmen zu. Ich nehme eine Ibuprofen und bitte, dass wir gleich heimfahren. Als wir an der Kratzmühle vorbeifahren, fällt mir ein, dass meine muslimischen Freunde dort heute das Zuckerfest - das Ende des Ramadan - feiern. Ich meine zu Anna, wir könnten doch mal kurz halten und die Jungs begrüßen. Schmunzelnd hält sie. Irgendwie sind die Schmerzen nun wie verschwunden. Das Schmerzmittel scheint ganz plötzlich gewirkt zu haben. Dort treffe ich auch Lehrer/innen vom Gymnasium. Mit einigen unterhalte ich mich kurz. Sie haben meine Diagnose auch schon mitbekommen und wünschen mir alles Gute. Und dann mitten rein in die Schar der feiernden Afghanen. Bisschen vorsichtiger Händeschütteln wegen der Wunde. Bisschen essen und quatschen.
Beim Heimgehen kommen wir am Beachvolleyballfeld vorbei. Letztes Jahr haben wir so oft hier gespielt. Jeden Samstag hatten wir hier mit den Geflüchteten, aber auch einigen Urlaubern Partystimmung. Es war einer der schönsten Sommer in meinem Leben.
Wie wird der Sommer wohl dieses Mal? Werde ich dieses Jahr hier wieder beachen können? Werde ich mit Port und Chemo schwimmen können? Ich blicke auf das große weiße Pflaster, das bedrohlich weit außen an der Schulter sitzt!
Momentan kann ich mir nicht vorstellen, dass das mit diesem Port funktionieren kann. Zum ersten Mal bin ich frustriert! So ein Scheißtag.