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Auf zu neuen Ufern

Aktualisiert: 24. Juli 2022

Naja, so neu sind die Ufer gar nicht. Eigentlich habe ich so etwas in diese Richtung ja bereits schon seit längerem gemacht - nun ist es einfach ein offizieller Posten: Ich darf mich jetzt Integrationsbeauftragte der Stadt Beilngries nennen. Ein Ehrenamt. Und so kam es dazu:


Ich schlage die Zeitung auf und lese: Im Stadtrat von Beilngries wurden nach den Neuwahlen die Referentenposten vergeben. Ich stutze. 6 Jahre zuvor hatte ich auch für dieses Gremium kandidiert. Damals war ich enttäuscht, dass ich wegen 9 Stimmen nicht in den Stadtrat einzog. Ich hätte mich für den Posten als Referentin für Jugend, Vereine und Sport oder alternativ für Schule interessiert. Ich lese, wer diese Aufgaben dieses Mal übernimmt und beobachte mich, welche Gefühle diese Nachrichten bei mir auslösen. Ich stelle fest: Keine.


Nein, dieses Kapitel und auch diese Themen sind für mich abgeschlossen. Ich hatte vor 6 Jahren ja kandidiert, weil ich einfach noch einmal etwas Verantwortungsvolleres machen wollte. Der jetzige Bürgermeister, ein guter Freund von mir, hatte mich damals wegen einer Kandidatur gefragt. Ich wollte in meiner Lebensmitte noch einmal eine neue Herausforderung annehmen. Im Nachhinein habe ich gemerkt, dass viele Aufgabenbereiche im Stadtrat vermutlich dann doch nicht so spannend für mich gewesen wären. Vor allem bin ich ein totaler Teamplayer und das ganze parteipolitische Gerangel kann ich gar nicht. Zudem kamen ja ein Jahr später die Geflüchteten nach Beilngries. Da fühlte ich mich wirklich gebraucht. Beides hätte ich nie schaffen können. All diese Gedanken schießen mir querfeldein durch meinen Kopf, als ich weiter lese.



Ein neuer Posten, wie geschaffen für mich


Das Landratsamt hat einen neuen Posten ausgeschrieben, den es im Stadtrat zu besetzen gibt: und zwar einen Integrationsbeauftragten. Oh, mir wird spontan ganz heiß. Mensch, das wäre es eindeutig gewesen, was ich gerne gemacht hätte, schießt es mir durch den Kopf. Für die Geflüchteten brennt immer noch mein Herz. Ich lese weiter. Leider konnte für diesen Posten keiner aus dem Gremium des Stadtrats gefunden werden. Zu umfangreich und arbeitsaufwändig sei der Katalog an Aufgaben. Das Landratsamt hat für diesen Fall vorgesehen: Man könne dieses Amt auch mit einer externen Person besetzen. Vielleicht durch jemanden, der sich bereits in diesem Gebiet betätigt hat.


Ich traue meinen Augen nicht. Wow. Sofort weiß ich: Das ist genau für mich geschaffen. Interessanterweise habe ich mit meiner Tochter Anna noch vor kurzem besprochen, dass ich gerne nochmal etwas Neues machen würde, aber nicht weiß was. Vor allem war ich mir unsicher, ob es auf Grund meines gesundheitlichen Backgrounds überhaupt Sinn macht, noch einmal etwas anzufangen. Man weiß ja nie, ob nicht irgendwann ein Rezidiv auftritt. Als pragmatischer Mensch überlegte ich, ob sich im gesetzten Fall der Aufwand für etwas Neues überhaupt lohnen würde.


Aber jetzt muss ich doch erst noch einmal kurz reflektieren. Es kommen ja vielleicht noch andere für diesen Job in Betracht. Ich gehe die geeigneten Personen gedanklich durch. Ich will da ganz klar und offen agieren. Keiner soll übergangen oder gar verletzt werden, weil er oder sie nicht gefragt wurde. Vor allem meine Freundin Kirstin liegt mir da sehr am Herzen. Sie hatte sich dieses Mal für den Stadtrat aufstellen lassen. Hat also auch Ambitionen sich zu engagieren. Zudem hat sie als Kümmerin gearbeitet und hat sich intensiv für die Geflüchteten eingesetzt. Gemeinsam haben wir so manches schon gestemmt.


Gemeinsam! Genau das war es. Im Team. Der Vorteil: Man kann sich absprechen, man kann Aufgaben verteilen. Mit Kirstin könnte ich mir das super vorstellen.



Vorstellung im Stadtrat


Und so kam es, dass wir uns und unsere Ziele auch gemeinsam am 18. Juni 2020 im Stadtrat vorstellten. Den Bericht dazu kann man in den beiden lokalen Zeitungen gut nachlesen:


Der Bericht von Fabian Rieger vom Donaukurier: Wir versuchen Brücken zu bauen


Der Zeitungsartikel der Mittelbayerischen von Johann Grad: Beilngries ist bunter geworden

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Das Leben, wie ich es mag, hat mich zurück.



Zeit, den Motor wieder etwas hoch zu fahren


Ich brauche Herausforderungen. Langweile ist das Schlimmste, was ich mir antun kann. Diese Erkenntnis habe ich bei meinen Reflexionen festgestellt.


In meiner Arbeit in der Buchhandlung hat mich Corona etwas ausgebremst. Keine großen Feste sind in diesem Jahr im Kloster, und es sind weniger Kunden auf dem Gelände... Meine dadurch gewonnene Zeit verbringe ich mit meinem Enkelkind, bei meinen Eltern, auf dem Bau unseres Sohnes, ich koche mehr, bin viel im Garten ... Alles ganz nett. Aber ich möchte noch etwas, was mich fordert, was mein Adrenalin auch mal nach oben treibt. Manchmal komme ich mir echt vor wie ein Border Colli, der immer beschäftigt werden will. Ich habe das Gefühl, wenn ich meine grauen Gehirnzellen nicht sinnvoll einsetzen kann, dann machen die nur Blödsinn. Zuviel freie Zeit zum Nachsinnen tut mir nicht gut. Außerdem hatte ich ja jetzt wirklich viel Zeit zum Reflektieren. Nun will ich umsetzen, was ich vielleicht gelernt habe.


Und da kommt mir der Job als Integrationsbeauftragte gerade recht.



Der erste Auftrag


Kaum haben Kirstin und ich nach unserer Vorstellung im Stadtrat das Rathaus verlassen, kommt ein junger Familienvater aus Afghanistan auf uns zu: "Ich habe dir gerade geschrieben", meint er zu Kirstin. "Ich habe am Samstagmorgen eine Wohnungsbesichtigung. Kannst du mich da begleiten?" Da Kirstin nicht kann, biete ich mich an. So stehe ich zwei Tage später ausgerechnet auch noch in der Wohnung eines mir befreundeten Stadtrates. So ein Zufall: Kurz vorher erzähle ich noch in dem Gremium, dass gerade bei der Wohnungs- und Jobsuche Migranten oft benachteiligt würden ...


Und schon stecke ich mitten drin, in meiner neuen Aufgabe. Gut so.






Viel Öffentlichkeitsarbeit


Als nächstes steht an, einen Artikel über die Wichtigkeit unserer Arbeit für eine Art Amtszeitung zu schreiben. Der Bürgermeister hatte uns empfohlen, dieses Medium für die Öffentlichkeitsarbeit zu nutzen. Die Welt rückt immer enger zusammen, die unterschiedlichen Kulturen vermischen sich. Allein in unserem 8.000 Seelen Ort gibt es 79 verschiedene Nationalitäten. Schaut man momentan nach Amerika, weiß man: Selbstverständlich ist eine faire und tolerante Gesellschaft auch nach vielen Jahren nicht. Wir wollen über Aktionen und durch Impulse zum Nachdenken für eine weiterhin positive Stimmung in unserem Ort beitragen. Den Anfang soll dabei ein Interview in der Presse mit den lokalen Arbeitgebern sein. Ich vermute, dass viele unserer neueren Bürger sowohl in der Pflege wie auch in Unternehmen gerne gesehen werden - alleine dadurch, dass in einigen Bereichen deutsche Arbeitskräfte fehlen. Die wollen wir ins Bewusstsein bringen. Vielleicht lassen sich dann auch noch mehr Arbeitgeber motivieren, etwas unvoreingenommener auf Migranten zuzugehen.


Damit stehe natürlich auch ich wieder mehr in der Öffentlichkeit: Ich weiß auch, dass nicht alle gut finden, dass wir uns für Migranten einsetzen. Ich nehme klare Argumente und auch Ängste durchaus ernst. Jeder hat das Recht, seine Meinung zu äußern. Ehrliche Konfrontationen können auch bereichern. Angst davor habe ich keine.


Ich kann mir auch vorstellen, dass einige Leute sich auch wundern, dass ich trotz meiner Diagnose mir noch einmal so einen Job "antue". Sehr viele wissen ja von meiner Krankheit, da bereits zwei große Artikel darüber in der lokalen Presse standen.



Menschen Mut machen


Der Baum, der hier über die Schwarzach gefallen ist, lockt zum Rüberlaufen. Aber ehrlich gesagt, habe ich das dann doch nicht gemacht. Ich bin zwar wagemutig, aber nicht lebensmüde 😊. Die Gefahr abzustürzen und seinen Kopf zu riskieren ist hier wirklich zu groß.

Ein Ziel, warum ich damals mit meiner Krankheit in die Öffentlichkeit ging, war ja, den Menschen zu zeigen: Mit der Diagnose Krebs ist man nicht gleich Todeskandidat/in. Man könne auch trotz Chemo oft noch leistungsfähig sein und dies vor allem auch hinterher sein. Da ist es natürlich gut, dass die Menschen sehen, was ich jetzt so mache.


Aber was, wenn dennoch irgendwann ein Rezidiv auftritt? Das würden dann ja auch viele mitbekommen und somit eher verunsichert werden. So ist es nämlich auch immer wieder auf dem Forum der krebskranken Frauen, auf dem ich noch unterwegs bin. Auch dort schaffen den Kampf gegen Krebs nicht alle. Gerade in letzter Zeit starben auch ganz junge Frauen. Dies macht uns alle natürlich sehr traurig und nachdenklich.


Aber so ist dieses unvorhersehbare Leben. Es ist nicht immer gerecht. Und manchmal muss man eben ein ungerechtes Leben akzeptieren und dennoch versuchen - soweit es nur irgendwie geht - wieder das Beste daraus zu machen. Ich denke sowieso: Gerade bei Niederlagen kann man am besten zeigen, was Stärke ist. Ich würde zwar vermutlich schon erst einmal lamentieren, aber dann wieder nach Vorne schauen: Solange es was zu schauen gibt 😉.



Allen Menschen mit Achtung begegnen


Ich bin echt gespannt, was dieses Amt alles mit sich bringt. Ideen haben wir genug. Aber wir müssen einfach abwarten, was sich davon umsetzten lässt. Wir haben es ja mit Menschen und nicht mit Marionetten zu tun. Wir wollen alle Mitbewohner - ob hier oder in einem anderen Land geboren - mit der jeweiligen Individualität und Kultur akzeptieren. Dabei wollen wir den Menschen auf Augenhöhe begegnen und die notwendige Wertschätzung entgegenbringen. Nur so ist gegenseitiges Vertrauen letztendlich möglich.


Ein hohes Ziel. Ich sollte aber dabei nicht vergessen, dass ein Ehrenamt immer ein "Kann" und nur selten ein "Muss" ist. Wir können ein Stück weit selbst bestimmen, wie viel wir auf diesem Gebiet machen wollen.


So sehe ich unsere neuen Aufgabe eher als gesunden Katalysator für mein Leben. Sie zündet, dass alles wieder leichter läuft. Denn mit einer neuen Motivation im Herzen lässt es sich doch am Morgen wieder viel leichter aus dem Bett springen.


So soll es sein, so soll es lange bleiben!




Und dann braucht es auch immer wieder ruhige Orte und Zeiten, an denen man seine Seele baumeln lassen kann.

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