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Arbeit: Mehr als nur Beschäftigung

Aktualisiert: 23. Aug. 2021

Nun habe ich meine 6 Wochen Wiedereingliederung hinter mir. Mir geht es dadurch eigentlich wieder besser. Es kann durchaus auch gut sein, nicht immer nur über sich nachdenken zu können.


Zurück in den Alltag!


Ich gehe wieder sehr gerne in meinen Buchladen.

Schonzeit vorbei. Die Wiedereingliederung habe ich als softe Maßnahme erlebt, mich wieder in meinen beruflichen Alltag einzufinden. Wiedereingliederung ist echt ein klasse Model, den Motor langsam wieder hoch zu fahren. Ich habe in den ersten beiden Wochen jeden Tag 3 Stunden gearbeitet, die nächsten beiden Wochen 4 Stunden, danach zwei Wochen lang 5 und dann war ich ja bereits bei meinen gewohnten 6 Stunden pro Tag. Die Krankenkasse übernimmt dabei ja noch die vollen Kosten wie beim Krankengeld auch. So brauchte ich auch kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn ich das Ganze wirklich etwas langsamer angehen ließ. Spannend, wie schnell man Dinge verlernt. So musste ich bei alltäglichen Routine-Arbeiten am PC doch glatt nachdenken: „Wie war das gleich wieder?" Umgekehrt habe ich gemerkt, wie schnell doch altes Wissen auch wieder abrufbar ist.




„ Ja so eine Freude!"


Gerade in diesen ersten Wochen erlebte ich täglich Begegnungen mit Menschen, die sich total darüber freuten, dass ich wieder arbeite. Klostermitarbeiter/innen und Kund/innen begrüßten mich auf das Herzlichste. Manche Vertreter/innen schrieben mir sogar privat. Oder sie riefen erfreut im Laden an, als sie mitbekamen, dass ich wieder arbeite. Manche überhäuften mich dabei mit Komplimenten und meinten: Sie hätten mich als eine sehr außergewöhnlich starke Frau erlebt. Spannend, so seine „Grabrede" schon zu Lebzeiten zu hören😉 . Nein, es tut einfach gut, zu erleben, dass sich die Menschen über meine Rückkehr begeistern können. Genauso freue ich mich wieder auf die Menschen, mit denen ich zusammenarbeiten darf. Es macht mir echt Spaß, andere bedienen zu können. Ich sehe es echt als Win-Win-Situation. Ich bemühe mich, dass unsere Kund/innen ihre Wünsche erfüllt bekommen. Und ich profitiere von dem Erfolgserlebnis, etwas verkauft zu haben und manchmal auch von einem dankbaren Lächeln. Viele Einkaufende loben das Sortiment oder eine gute Beratung. Gerade wenn man Sonderwünsche erfüllt, kann man hier Menschen wirklich sehr dankbar und glücklich machen. Ja und solche Glücksmomente habe ich eben nicht, wenn ich „nur" zu Hause bleibe. Ich bin ein extrovertierter Mensch. Ich brauche Menschen um mich herum. Nur zu Hause sein, das wäre echt nichts für mich.


Meine Lieblingsbeschäftigung am PC: Die Nachbestellliste durchschauen.


Dennoch war es auch richtig für mich so lange daheim zu bleiben. Einmal Zeit zu haben, Abstand zu bekommen. Die Arbeit an sich aus einer anderen Perspektive zu sehen.

Zudem benötigte mein Heilungsprozess schon auch eine gewisse Ruhe und Aufmerksamkeit. Der „Arbeitsstress" bindet doch einiges an Kräften und vor allem Zeit. Mit Arbeit kann man bei weitem nicht so sehr auf sich hören, wie eben mit viel Freiraum. Ich hätte mich mit regelmäßiger Beschäftigung sicher wieder vernachlässigt. Muss ich doch bereits jetzt schon wieder aufpassen, dass ich mich nicht überstrapaziere.


Zuviel freie Zeit


Eigentlich wollte ich ja vor der Wiedereingliederung noch auf Kur gehen. Aber die Zusage kam und kam einfach nicht. Irgendwann wurde mir klar: Ich kann jetzt nicht mehr daheim bleiben. Meine Gedanken kreisten einfach nur noch um mich. Das zog mich eher herunter. Irgendwann kommt man sich nur noch nutzlos vor.

Ich kann mich nun auch ein bisschen in Arbeitslose oder auch in Asylbewerber/innen hineinversetzen, die nicht arbeiten durften, bzw. immer noch nicht dürfen. Man wird immer müder ohne Aufgabe. Das Leben fühlt sich sinnentleert an. Man traut sich irgendwann nur noch sehr wenig zu. Das Selbstwertgefühl schrumpft ... Abwärtsspirale nennt man so etwas. Am Ende hat man das Gefühl, man sitzt in einem Loch und kommt wie bei einer Depression alleine nicht mehr heraus.


Arbeit gibt einem Selbstwert, auch eine gewisse Stellung. Man hat einfach wieder Erfolgserlebnisse. Die Regelmäßigkeit, das „aufstehen müssen", das „nach draußen gehen müssen" ... Es tut einfach gut.


So beschloss ich zwei Wochen vor unserer größten Veranstaltung im Kloster, dem Erntedankmarkt, wieder in der Buchhandlung anzufangen.


Reha in Aulendorf


Kaum hatte ich meine Arbeit wieder aufgenommen, kam tatsächlich die Zusage für meine Rehamaßnahme. Ich könne Ende November in meine Wunschklinik nach Aulendorf in Baden Württemberg fahren. Das freut mich natürlich riesig. Allerdings ist mir sofort klar: Zu diesem Zeitpunkt gehe ich definitiv nicht. Sowohl in der Arbeit mit zwei Weihnachtsmarkt-Wochenenden, wie auch auf der Christbaumkultur ist das eine der intensivsten Zeiten. So schaute ich in meinen Terminkalender nach einer ruhigeren Zeit. Vor allem, wo auch keine Liga-Spiele sind. Und das ist nur in der Faschingszeit. Das passt: Auf Fasching kann ich mittlerweile ganz gut verzichten. Außerdem arbeite ich dann ja schon wieder ein knappes halbes Jahr. Da tut mir dann eine Auszeit mit einem erneuten Rück- bzw. Ausblick sicher schon wieder gut.


Jetzt brenne ich ja gerade erst wieder, neue Visionen umzusetzen. Aber ich will und muss mich bei meiner ganze Begeisterung, wieder aktiv sein zu dürfen, dennoch zügeln. Es soll nicht erneut in irgendeinen Stress ausarten. Negativer Stress setzt das Immunsystem herunter. Und das kann bei einer Krebserkrankung - im wahrsten Sinne - auf Dauer tödlich sein. So reiße ich Aufgaben, die meine Kolleg/innen bisher gut bewältigt haben, nicht gleich wieder an mich. Ich beobachte und lenke ganz vorsichtig, was am dringendsten schreit. Versuche die Spannung auszuhalten, das Dinge anders gemacht werden wie gewohnt. Es sei denn, es widerspricht total meinen Vorstellungen - und dem, was ich offiziell gelernt oder mir meine doch über 15-jährige Erfahrung gezeigt hat. Noch gelingt mir das ganz gut. Ich bin gespannt, wieweit ich lernfähig bin oder ob alte Fahrwasser mich wieder einholen.


Raus aus dem Leistungsdenken, hin zu mehr Entspannung


Auf Dauer muss ich wohl eine Balance finden zwischen Ruhe und Arbeit. Ich konnte es nämlich während meiner Krankheitszeit durchaus genießen, absolut nichts tun zu müssen. Frei von jeglichem Druck. Eigentlich sollte man so etwas ja Kindern zugestehen. Aber da ist unsere Gesellschaft schon ein bisschen schräg: Was auf Kindern bereits schon in der Grundschule an Druck aufgeladen wird, ist ja nicht mehr feierlich. Meinen bisherigen Stress habe ich zumindest freiwillig gewählt. Wie weit man bei Erziehung, Prägung oder einfach vom eigenen Typ her immer von „freiwillig" reden kann, ist etwas anderes. Zumindest möchte ich mir bewusst machen, dass ich zu mancher mir selbst auferlegten Tätigkeit durchaus auch mal nein sagen könnte.


Dazu fällt mir der biblische Text ein: „Jesus Christus spricht zu seinen Jüngern: Darum sage ich euch: Sorgt nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung? Seht die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr als sie? Wer ist unter euch, der seines Lebens Länge eine Spanne zusetzen könnte, wie sehr er sich auch darum sorgt?" (Math. 6, 25 -27)


Oder wie hat es Astrid Lindgren so schön formuliert:

"Und dann muss man ja auch noch Zeit haben, einfach da zu sitzen und vor sich hin zu schauen."


Ja, mit Sorgen und Stress verkürzt man eher sein Leben. Daher gönnen wir uns doch auch mal nur da zu sein ... bevor wir irgendwann nicht mehr da sind.


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